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WiFF-Bundeskongress am 6./7. November 2018 Kita-System: Umbau mit Weitblick? – Perspektiven aus Forschung und Praxis

Kindertageseinrichtungen zählen heute zur zentralen Infrastruktur in unserer Gesellschaft. Innerhalb weniger Dekaden wurde das Kita-System stark ausgebaut, parallel dazu veränderten sich Lebens- und Arbeitsformen. Was bedeutet die Dynamik für das Arbeitsfeld Frühpädagogik, die Akteure und deren Aus- und Weiterbildung? Vollzieht sich in der Kindertagesbetreuung ein historischer Kurswechsel oder erleben wir lediglich Reformen in Dauerschleife? Antworten auf diese Fragen suchte ein WiFF-Bundeskongress im November 2018 in Berlin.

Kita als Bildungsort unterschätzt

WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König © Sabine Münch

Krippen- und Kindergartenplätze werden so stark in Anspruch genommen wie noch nie. Das markiert einen Funktionswandel der Einrichtungen. Dabei ist ein Ungleichgewicht zwischen stetigem Mehr, dem Ausbau der Betreuung, und der Qualität im Sinne Früher Bildung zu beobachten, stellte WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König in ihrem Eröffnungsvortrag fest. Historisch gesehen bewegt sich das Arbeitsfeld Kita in einem Spannungsfeld zwischen Betreuung und Bildung – und somit zwischen den Disziplinen der Sozialpädagogik und der Frühpädagogik. Auch wenn sich bei den Berufsgruppen des Kita-Personals seit den 1970ern ein Wandel weg vom Gesundheits- hin zum Sozial- und Erziehungssystem beobachten lässt, wird die Kita als Bildungsort noch oft unterschätzt, etwa im Vergleich zur Schule. Und das, obwohl in keinem anderen Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe so viele Akademikerinnen und Akademiker arbeiten wie in dem der Kindertagesbetreuung. Allerdings sei Qualität in der Frühen Bildung nicht mit Akademisierung gleichzusetzen, betonte König. Sie plädierte dafür, dass sich das Arbeitsfeld wie auch die Berufspraxis verändern, etwa durch verstärktes Mentoring, Weiterbildungen, die Karrieremöglichkeiten eröffnen, multiprofessionelle Teams, reflexive Teamarbeit und mehr Leitungsressourcen. Ziel müsse es sein, Qualität nachzusteuern, um den Anspruch an eine Frühe Bildung zu erfüllen.

Pädagogisierung oder Institutionalisierung der Frühen Kindheit?

Professorin Dr. Meike Sophia Baader © Sabine Münch

Die Verweildauer von Kindern in der Kita liegt in Deutschland bei drei Jahren – und damit im europäischen Schnitt. Der Kita-Besuch gehöre mittlerweile zur Normalbiografie, bemerkte Professorin Dr. Meike Sophia Baader von der Universität Hildesheim in ihrer Keynote unter Bezug auf den Eröffnungsvortrag von Professorin Dr. Anke König. Damit habe sich in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher gesellschaftlicher Wandel vollzogen, der auch mit veränderten Rollen- und Familienbildern einhergehe – weg vom männlichen Alleinverdiener-Modell, das 2016 nicht einmal mehr für ein Viertel der Familien zutraf. Um 1970 galt in der BRD noch als "Rabenmutter", wer sein Kind in den Kindergarten gab, wohingegen heute diejenigen die "Rabenmütter" seien, die ihren Kindern frühkindliche Bildungsgelegenheiten in der Kita vorenthalten, beschreibt Baader den Wandel. Die Pädagogisierung der Kindheit sei jedoch als Phänomen viel älter als der flächendeckende Kita-Ausbau: "Bildung war immer schon eine Dimension in der Mehrfachfunktion von Kitas", wurde aber ab den 2000er-Jahren besonders akzentuiert, sagte Baader. Treffender als der Begriff "Pädagogisierung der Kindheit" sei aus ihrer Sicht die "Institutionalisierung der Frühen Kindheit".

Panels: Perspektive Kita und Akteure

Panel 1 | Kita-Alltag: Sichtbar machen!? Verschiedene Perspektiven aus qualitativen Studien zu Arbeitsfeld und Ausbildung

WiFF-Referentinnen stellten ausgewählte Ergebnisse aus drei qualitativen Studien der WiFF vor, die den Alltag in Arbeitsfeld und Ausbildung in der Frühen Bildung aus verschiedenen Perspektiven beleuchten: Anna Beutin und Dr. Katja Flämig präsentierten die von ihnen durchgeführte Teilhabe-Studie. Dabei zeigten sie unter anderem, dass Kinder nicht nur Adressaten pädagogischer Konzepte sind, sondern den Alltag in der Kita mitkonstruieren. Zudem beleuchteten sie Praktiken, die die soziale Ordnung des integrativen Kita-Alltags stabilisieren. Katharina Stadler und Clarissa Uihlein stellten Ergebnisse aus der Fachschulstudie vor, die die schulische Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher untersucht. In ihrem Vortrag griffen sie das Rollenspiel als eine didaktische Methode beispielhaft heraus und veranschaulichten, wie vielfältig es eingesetzt wird. Ziel ist in der Regel, die Rolle der Erzieherin bzw. des Erziehers einzuüben. Zudem könne das Rollenspiel zu Selbstreflexion beitragen, ergänzte eine Teilnehmerin. Dr. Carola Nürnberg fasste Erkenntnisse aus ihrer qualitativen Studie zu positiven und belastenden Momenten des Kita-Alltags zusammen, für die 14 Fachkräfte und Leitungen interviewt worden sind. Dabei wurde deutlich, dass alle Fachkräfte große Empathie für die Kinder mitbringen, dass aber viele andere Faktoren des Kita-Alltags oft ambivalent wirken. So beschrieben die Interviewten etwa ihre Kolleginnen und Kollegen mitunter als Ressource, mitunter als belastend – je nach Situation und Art der Zusammenarbeit.

Präsentation zum Beitrag von Anna Beutin und Dr. Katja Flämig
Präsentation zum Beitrag von Katharina Stadler und Clarissa Uihlein

 

Panel 2 | Kita-Leitung: Was wissen wir? Daten und Fakten zu Profilen, Orientierungen und Arbeitsbedingungen von Leitungspersonal

"Die Kita-Leitung gilt mittlerweile als untere Steuerungsebene im Kita-System", eröffnet WiFF-Referentin Karin Beher ihren Beitrag, der die Funktion Kita-Leitung anhand der amtlichen Statistik beleuchtete. Entsprechend ist der Anteil der Leitungen, die für ihre Tätigkeit nicht freigestellt sind, von knapp einem Drittel (2011) auf 11% (2017) zurückgegangen. In Relation zu ihren vielfältigen Aufgaben verfügen allerdings nur 49% der Leitungen über ein ausreichendes Zeitkontingent. "Der Hamster im Rad" war ein wiederkehrendes Bild in den Gruppendiskussionen, die Professorin Dr. Iris Nentwig-Gesemann von der Alice Salomon Hochschule Berlin bundesweit mit Leitungen durchgeführt hat. Die Leitungskräfte haben das Gefühl, sich zwischen der pädagogischen Arbeit und den Büro- und Managementtätigkeiten entscheiden zu müssen. In ihrer Studie identifizierte Nentwig-Gesemann Typen von Leitungen, die diesen Spagat auf unterschiedliche Weise für sich lösen. "Es gibt nicht die gute Leitung, sondern eine gute Passung zwischen Aufgaben und Kompetenzen", so ihr Fazit. "Durch die Expansion und den hohen Fachkräftebedarf hat die Personalentwicklung in Kitas an Relevanz gewonnen", konstatierte WiFF-Referentin Dr. Kristina Geiger, die erste Ergebnisse der Personalentwicklungsstudie vorstellte. Allerdings ist in knapp 30% der Einrichtungen zwischen Träger und Kita-Leitung nicht verbindlich geklärt, wer für das Thema zuständig ist. Diese erschwere der Leitung, ihren Aufgaben als Personalentwicklerin oder -entwickler gerecht zu werden. Auf der anderen Seite ist die Leitung selbst seltener im Fokus von Personalentwicklung. Sie erhält seltener Mitarbeitergespräche (69%) als die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (99%). In nur 28% der befragten Einrichtungen gibt es für sie Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten beim Träger.

Präsentation zum Beitrag von Karin Beher
Präsentation zum Beitrag von Professorin Dr. Iris Nentwig-Gesemann
Präsentation zum Beitrag von Dr. Kristina Geiger

Panel 3 | Kita-Fachkräfte: Weiterbildungsverhalten in der amtlichen Statistik und in der WiFF-Fachkräftebefragung: Was sagt das Personal?

Die Weiterbildungsbeteiligung in der Frühen Bildung ist außerordentlich hoch. Das zeigten WiFF-Referentinnen Veronika Gruber und Dr. Christina Buschle sowie WiFF-Referent Pascal Hartwich anhand aktueller Auswertungen der WiFF: Laut einer Fachkräftebefragung im Jahr 2016 im Rahmen der Weiterbildungsstudie der WiFF nahmen über 80% der frühpädagogischen Fachkräfte in den vergangenen 12 Monaten an einer Weiterbildung teil. Im Kontrast dazu lag die Weiterbildungsbeteiligung in der Frühen Bildung im Jahr 2015 gemäß Mikrozensus bei knapp 40%. Allerdings belegt auch dieses Ergebnis eine hohe Weiterbildungsbeteiligung frühpädagogischer Fachkräfte, da nur wenige Berufsgruppen eine höhere Weiterbildungsbeteiligung aufweisen. Die verschiedenen Kennwerte der beiden Untersuchungen sind auf unterschiedliche Stichprobendesigns und Definitionen des Weiterbildungsbegriffs zurückzuführen. Allerdings zeigen die Auswertungen auch: Zwar besuchen frühpädagogische Fachkräfte häufiger Weiterbildungen, meist aber kürzere Veranstaltungen. In über 70% der Fälle der WiFF-Fachkräftebefragung 2016 dauerte die Fortbildung maximal einen Tag. Ein Grund hierfür könnte der Personalmangel in Kitas sein – dieser wurde insbesondere von Kita-Leitungen oft als Hindernis für die Teilnahme an einer Weiterbildung genannt. Professorin Dr. Aiga von Hippel von der Humboldt Universität zu Berlin kommentierte die Ergebnisse und präsentierte Ergebnisse einer Befragung von Weiterbildungsanbietern im Jahr 2018. Der Studie zufolge sehen über 80% von ihnen eine zentrale Herausforderung der kommenden fünf Jahren in der Ansprache und dem Erreichen von Zielgruppen – sowie in der Digitalisierung der Arbeit. Kritisch diskutiert wurde der Nutzen von Inhouse-Fortbildungen: Einerseits können sie den Transfer des Gelernten erleichtern und für Träger eine kostengünstige Möglichkeit zur Weiterbildung ganzer Teams darstellen, andererseits bergen sie die Gefahr, dass die Einrichtung zu wenig Input von außen erhält.

Präsentation zum Beitrag Veronika Gruber und Pascal Hartwich
Präsentation zum Beitrag von Professorin Dr. Aiga von Hippel

Panel 4 | Kita-Beziehungen: Brauchen wir eine Ethik (früh-)pädagogischen Handelns?

Welche Ethik benötigt die Frühe Bildung und welches ethische Fundament unterstützt die Entwicklung der frühpädagogischen Profession? Kathrin Günnewig und Dr. Sandra Reitz vom Deutschen Institut für Menschenrechte antworteten auf diese Fragen damit, dass Menschenrechtsbildung notwendig sei. Diese umfasse die drei Dimensionen Bildung über, durch und für Menschenrechte und sollte selbst wertschätzend sowie lernendenzentriert gestaltet werden. "Die Pädagogikethik ist ein blinder Fleck in der (Früh-)Pädagogik", ergänzte Professorin Dr. Annedore Prengel, Initiatorin der "Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen". Abschließend fokussierten WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König und WiFF-Referentin Claudia Schmitt anhand eines Fallbeispiels das Team als einen großen Qualitätsfaktor der Kita, insbesondere wenn eine kritische Selbstreflexion praktiziert wird.

Präsentation zum Beitrag von Professorin Dr. Anke König und Claudia Schmitt
Handout von Sarah Reker und Nicole Spiekermann
Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen (Broschüre)

Panels: Kita-System und Strategien

Panel 5 | Akademisierung in der Frühen Bildung: Was ist aus dem Modernisierungsprojekt geworden?

"Früh- bzw. kindheitspädagogische Studiengänge haben sich inzwischen in der Hochschullandschaft etabliert. Das Studienangebot sowie die Zahlen der Anfängerinnen und Anfänger wie auch der Absolventinnen und Absolventen haben sich in den letzten Jahren stabilisiert", sagte WiFF-Referentin Angélique Gessler. Sie stellte zusammen mit Dr. Kirsten Hanssen aktuelle Daten des WiFF-Studiengangsmonitorings und der amtlichen Hochschulstatistik vor. Demnach bieten weiterhin vor allem Fachhochschulen früh- bzw. kindheitspädagogische Bachelor-Studiengänge an. Darauf bezog sich auch Professor Dr. Peer Pasternack vom Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In seinem Statement zeigte er diesbezüglich Problemlagen, aber auch Chancen auf. Welche Wege Kindheitspädagoginnen und -pädagogen auf dem Arbeitsmarkt einschlagen, zeichnete Professorin Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin von der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf anhand der ÜFA-Studie nach. Demzufolge münden akademisch ausgebildete Fachkräfte zwar in das Arbeitsfeld Frühe Bildung ein, allerdings verlässt es ein erheblicher Teil innerhalb von fünf Jahren wieder. Ein Grund hierfür seien die strukturellen Bedingungen. Diskutiert wurden mangelnde Karrieremöglichkeiten im Arbeitsfeld Frühe Bildung – gerade für Kindheitspädagoginnen und -pädagogen müsse das Arbeitsfeld attraktiver werden.

Präsentation zum Beitrag von Angélique Gessler und Dr. Kirsten Hanssen
Präsentation zum Beitrag von Professorin Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin

Panel 6 | Personalentwicklung: Mit welchen Strategien behaupten sich Träger und Kitas in dem expandierenden Berufsfeld?

Panel 6 | Personalentwicklung: Mit welchen Strategien behaupten sich Träger und Kitas in dem expandierenden Berufsfeld?

Das pädagogische und leitende Personal in Kindertageseinrichtungen ist seit 2006 kontinuierlich auf zuletzt 620.653 Personen angestiegen, konstatierte WiFF-Referentin Karin Beher. Dennoch fehlen bis zum Jahr 2025 nach einer Studie des Forschungsverbunds DJI/TU Dortmund 329.000 Kräfte in Kitas, Tagespflege und Ganztagesschule, wenn nicht erfüllte Elternwünsche sowie ein verbesserter Fachkraft-Kind-Schlüssel realisiert würden. Bereits jetzt zeigen sich Umbrüche in den Kita-Teams: Zwischen 2007 und 2017 ist die durchschnittliche Anzahl der pädagogischen und leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kita von 7,5 auf 10,7 gestiegen. Im gleichen Zeitraum wurde die Zusammensetzung in Bezug auf die Berufsabschlüsse heterogener. In den ostdeutschen Ländern zeichnet sich zudem eine Überalterung ab. Knapp ein Drittel der Teams besteht aus Fachkräften, die 50 Jahre und älter sind. In der Personalentwicklung wird somit das Thema Gesundheitsprävention bedeutsam sowie der Umgang mit altersbedingten Ausstiegen. WiFF-Referentin Beatrice Lenz beschrieb die Herausforderungen, vor denen Kitas stehen, anhand von Daten aus einer bundesweiten Einrichtungsbefragung der WiFF zum Thema Personalentwicklung. Fast alle Einrichtungen (89%) schätzen die Besetzung von Stellen für pädagogisches Personal ohne Leitungsfunktion eher schwierig ein. In 27% der befragten Einrichtungen gibt es mindestens eine unbesetzte Vollzeitstelle beziehungsweise mehrere Teilzeitstellen. 13% der Einrichtungen konnten Stellen sogar seit mehr als 6 Monaten nicht besetzen. Jeder dritten Einrichtung fehlt aufgrund der Probleme bei der Personalgewinnung die Zeit für die Entwicklung des pädagogischen Personals, z.B. durch Fort- und Weiterbildungen. Trotz der angespannten Lage führt die Mehrheit der Kindertagesstätten Personalentwicklung durch.

Präsentation zum Beitrag von Karin Beher

Panel 7 | Qualifizierungsanforderungen an frühpädagogische Fachkräfte: Welche Brücken bestehen zwischen den Arbeits- und Forschungsfeldern der Frühen Bildung und der Weiterbildung?

Die von den WiFF-Referentinnen Dr. Christina Buschle und Veronika Gruber durchgeführte und modular aufgebaute WiFF-Weiterbildungsstudie zielt darauf ab, die Transparenz hinsichtlich Struktur und Ausgestaltung der beruflichen Weiterbildung für frühpädagogische Fachkräfte zu erhöhen. Erste Ergebnisse zeigen: Das Weiterbildungsangebot im Bereich Frühe Bildung ist vielfältig, anpassungsfähig an gesellschaftliche sowie politische Entwicklungen und wird teilnehmer- und nachfrageorientiert geplant. Kita-Fachkräfte nehmen überdurchschnittlich oft an Weiterbildungen teil, scheinen jedoch kaum karrierebezogene Vorteile damit zu verbinden. Daneben wird auch der Transfer der Inhalte in die Praxis bisher (noch) zu wenig beachtet. Informelles Lernen finde sehr oft statt, vor allem außerhalb der Arbeitszeit. In der Diskussion bekräftigte Professorin Dr. Julia Schütz von der FernUniversität in Hagen, dass lebenslanges Lernen für Erzieherinnen und Erzieher eine besonders hohe Orientierungskraft besitze. Zugleich hätten Kita-Fachkräfte im Vergleich mit anderen pädagogisch Tätigen eine besonders hohe Selbstwirksamkeitserwartung, was möglicherweise hinderlich für den Transfer sein könnte. Professor Dr. Stefan Faas von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd berichtete von einer Studie zur Anerkennung im Ausland erworbener beruflicher Abschlüsse im Bereich Frühe Bildung in Baden-Württemberg. Demnach verbinden sich mit der beruflichen Anerkennung ausländischer pädagogischer Qualifikationen unterschiedliche Erwartungen: Einige versprechen sich von einem höheren Anteil von Erzieherinnen und Erziehern mit Migrationshintergrund, dass Kinder und Familien mit Migrationshintergrund in Kitas besser unterstützt werden. Träger hingegen sehen darin vor allem eine Strategie zur Fachkräftegewinnung. Kritisch merkte Professor Faas an, dass die Anerkennungspraxis im untersuchten Beispiel Baden-Württemberg rein formal ablaufe und sich nicht an Kompetenzen orientiere. Auch deshalb sähen Träger einen klaren Weiterbildungsbedarf für alle Akteure.

Präsentation zum Beitrag von Dr. Christina Buschle und Veronika Gruber
Präsentation zum Kommentar von Professorin Dr. Julia Schütz
Präsentation zum Beitrag von Professor Dr. Stefan Faas

Panel 8 | Kompetenzorientierte Weiterbildung in der frühpädagogischen Arbeit: Welche Potenziale bietet lebenslanges Lernen für die (berufliche) Weiterentwicklung?

Professorin Dr. Christine Thon von der Europa-Universität Flensburg referierte zum Thema Reflexivität: Dieses Element pädagogischer Professionalität wird zwar sehr häufig in aktuellen Diskursen genannt, jedoch selten näher definiert. In Anlehnung an Bourdieu versteht Thon unter Reflexivität unter anderem, "doxische Selbstverständlichkeiten" infrage zu stellen. Sie verdeutlichte, dass sich wissenschaftliche Herangehensweisen für das Einnehmen einer reflexiven Haltung eignen und sich auch auf den pädagogischen Bereich übertragen lassen. WiFF-Referentinnen Anna Beutin und Dr. Katja Flämig gaben Einblicke in die von ihnen durchgeführte, ethnographische Teilhabe-Studie. Anhand von Feldvignetten zeigten sie, wie pädagogische Situationen reflexiv bearbeitbar gemacht werden können. Die freie Weiterbildnerin Anita Meyer von "Perspektive Bilden" stellte die Gestaltung kompetenzorientierter Weiterbildung vor. Hierbei erläuterte sie vier didaktische Prinzipen, darunter auch die Reflexionsorientierung. In der Diskussion wurde angemerkt, dass Reflexion neben methodischen Fähigkeiten und angemessenen Rahmenbedingungen auch den Mut erfordere, Aspekte kritisch zu hinterfragen.

Präsentation zum Beitrag von Professorin Dr. Christine Thon
Präsentation zum Beitrag von Anna Beutin und Dr. Katja Flämig
Präsentation zum Beitrag von Anita Meyer

Erfolgsgeschichte: Kindheitspädagogik als wissenschaftliche Disziplin

Professor Dr. Peter Cloos © Sabine Münch

"Die Entwicklung der Pädagogik der Frühen Kindheit als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin ist eine Erfolgsgeschichte", sagte Professor Dr. Peter Cloos, Leiter des Kompetenzzentrums Frühe Kindheit Niedersachsen an der Stiftung Universität Hildesheim, in seiner Keynote. "Kernaufgabe der ersten Stunde" der neuen Disziplin sei die Professionalisierung des Kita-Systems gewesen. Mittlerweile sei dies nur ein Anliegen unter anderen. Die frühpädagogische Forschung reflektiere zunehmend die eigenen Bestimmungsmerkmale der Disziplin – und habe somit eine reflexive Forschungskultur herausgebildet. Die Hoffnungen auf Professionalisierung, die sich mit den Anfängen der Disziplin verknüpften, hätten sich jedoch nur teilweise erfüllt. So sei lediglich ein vergleichsweise geringer Anteil Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen in der Kita tätig. Zudem würden die Potenziale dieser studierten Kräfte im Arbeitsfeld nicht ausgeschöpft, stellte Cloos fest. So dringe reflexives Wissen durch Akademisierung kaum in die Praxis. Darüber hinaus bestehe eine Diskrepanz zwischen wachsenden Anforderungen im Arbeitsfeld sowie Motivation einerseits und vergleichsweise geringer Anerkennung der Leistung von Kita-Fachkräften andererseits.

Talkrunde: Kita-System: Umbau mit Weitblick?

Das Kita-System wird radikal und schnell umgebaut – und steht vor der Herausforderung, dass neben einem stetigem Mehr auch ein stetiges Besser erforderlich ist. Die Frage nach der Qualität ist mit dem quantitativen Ausbau unmittelbar verbunden. Doch wie gelingt ein Ausbau mit Weitblick? Und welche Strategien können den Qualitätsforderungen gerecht werden? Darüber diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen, Träger, Ausbildung und Forschung im Gespräch mit Professor Dr. Bernhard Kalicki, Leiter der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München.

Ute Eggers © Sabine Münch

"Wie muss die Fachschule aufgestellt sein, damit sie Anschlusswege in der Hochschule ermöglicht?" Mit dieser Frage habe sich die Fachschullandschaft in den vergangenen Jahren intensiv auseinandersetzt und einen Umbau vollzogen, sagte Ute Eggers von der Bundesarbeitsgemeinschaft öffentlicher und freier Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher e.V. (BöfAE). Als Beispiel nannte sie die kompetenzorientierten Qualifikationsprofile. Zudem plädierte sie dafür, die Rolle der Praxismentorinnen und -mentoren zu stärken.

Dr. Carsten Schlepper © Sabine Münch

"Wir müssen ein Angebot in der Kita machen, mit dem wir Menschen gewinnen, für uns zu arbeiten", sagte Dr. Carsten Schlepper von der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA). So sollten beispielsweise Fachschule und Kita enger zusammenarbeiten: "Praxisintegrierte Ausbildung funktioniert nur, wenn Schule und Praxis synchron arbeiten", sagte Schlepper. Zudem forderte er, Leitungen vollständig freizustellen – so, wie es auch in anderen Arbeitsfeldern üblich sei.

Ursula Krickl © Sabine Münch

"In den letzten zehn Jahren ist im Arbeitsfeld Kindertagesbetreuung ganz viel passiert", stellte Ursula Krickl vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) fest. „Die Frühe Bildung hat sich so stark entwickelt wie kein anderer Bereich." Mit Blick auf die Bezahlung der Fachkräfte warf Krickl die Frage auf: "Ist das Kita-System noch zeitgemäß? Kinder gehen inzwischen länger in die Kita als in die Grundschule. Warum werden Grundschullehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher dann so unterschiedlich bezahlt?"

Professor Dr. Thomas Rauschenbach © Sabine Münch

"Wir laufen Gefahr, Akademisierung in der Frühen Bildung zu predigen und das Gegenteil zu tun", sagte DJI-Direktor Professor Dr. Thomas Rauschenbach mit Blick auf den Fachkräftemangel. "Wenn die Akademisierung in dem Tempo vorangeht, dann dauert es noch 150 Jahre", formulierte er das Problem zugespitzt. Seit zwanzig oder hundert Jahren gebe es ein nichtgelöstes Problem in der Hierarchie in der Frühen Bildung: Ein höheres Ausbildungsniveau müsse zu einem höheren Maß an Verantwortung führen, betonte er.

Professor Dr. Rudolf Tippelt © Sabine Münch

"Die Akademisierung ist existenziell für den Bereich Frühe Bildung", sagte Professor Dr. Rudolf Tippelt von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Die akademisch ausgebildeten Kräfte können den ganzen Bereich voranbringen. Tippelt lobte es als Verdienst von WiFF, dass es Erkenntnisse zum Verbleib von Absolventinnen und Absolventen kindheits- bzw. frühpädagogischer Studiengänge im Arbeitsfeld Kita gebe. "Das ist ein Vorsprung vor anderen Arbeitsfeldern."

Posterwalk

Die Poster wurden im Rahmen eines Posterwalks an beiden Kongresstagen präsentiert.

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