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Im Interview In der Zwickmühle: Erzieherinnen- und Erzieherausbildung zwischen Fachlichkeit und Fachkräftebedarf

Der Personalbedarf in Kindertageseinrichtungen steigt seit Jahren. Immer mehr Einrichtungen haben Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Bisher versuchten die Länder, zusätzliche Nachwuchskräfte vor allem über den Ausbau und neue Formate der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung zu gewinnen. Ist das auf lange Sicht der richtige Weg und was bedeutet das für die Qualität der Ausbildung ? WiFF-Leitung Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin und DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach beantworten diese Fragen im Interview.

Prof. Dr. Thomas Rauschenbach

Wie drängend ist das Problem fehlender Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung?

Rauschenbach: Das lässt sich für Ost- und Westdeutschland nur getrennt voneinander beantworten. In Ostdeutschland können aller Voraussicht nach die Nachwuchskräfte den Personalbedarf in den kommenden Jahren decken. In Westdeutschland sieht es ganz anders aus: Hier werden ab sofort Fachkräfte in großer Anzahl benötigt. Gemäß unseren Berechnungen im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund könnten bis 2025 sogar bis zu 72.500 Fachkräfte fehlen. Einerseits um nicht erfüllte Betreuungsbedarfe der Eltern im U3-Bereich zu decken, andererseits um ausscheidendes Personal aus dem Arbeitsfeld zu ersetzen.

Woher soll das Personal kommen?

Rauschenbach: Das ist die große Frage. Die Politik hat in den letzten Jahren vor allem auf die Ausbildung von Erzieherinnen und Erzieher gesetzt. Konkret wurden die Kapazitäten an den Fachschulen für Sozialpädagogik, die für diese Ausbildung zuständig sind, ausgebaut. Mit beachtlichem Erfolg: Seit dem Schuljahr 2007/08 hat sich die Zahl der Anfängerinnen und Anfänger in der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung verdoppelt. Gleichzeitig haben die Anstrengungen dazu geführt, dass dieses Ausbildungsprofil weiterhin in den Kitas vorherrscht.

Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin

Mehr fachlich ausgebildete Nachwuchskräfte, das sind doch gute Nachrichten. Trotzdem sehen Sie diese Entwicklung auch kritisch?

Fuchs-Rechlin: Dafür gibt es gute Gründe. Zum einen blockiert die einseitige Konzentration auf die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung die längst fällige Akademisierung zumindest eines Teils der Kita-Beschäftigten. Damit verringern sich die Chancen der Frühen Bildung auf den Anschluss an das restliche Bildungssystem. Zum anderen beobachten wir sehr wohl eine Art Downgrading der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung.

In welcher Hinsicht?

Fuchs-Rechlin: Um in kurzer Zeit mehr junge Menschen für den Arbeitsmarkt auszubilden, wurden die Zugangsvoraussetzungen aufgeweicht. Hierzu muss man sich vor Augen führen, dass die Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher eine berufliche Weiterbildung ist, die einen mittleren Schulabschluss sowie eine einschlägige berufliche Vorbildung – z.B. im Bereich Kinderpflege oder Sozialassistenz – voraussetzt. Eigentlich. Denn in den Ländern gibt es mittlerweile zahlreiche Ausnahmen, etwa für Menschen mit einem höheren Schulabschluss oder beruflicher Vorerfahrung. Es ist davon auszugehen, dass das Niveau leidet, wenn in den Fachschulen neben einschlägig Qualifizierten, auch Personen ganz ohne eine solche Vorbildung sitzen.

Die Zugangsvoraussetzungen sind das eine, Ausbildungsformate das andere. Auch hier beobachten Sie Dynamiken mit unerwünschten Nebeneffekten.

Fuchs-Rechlin: Im Wettbewerb um den beruflichen Nachwuchs hat die klassische Erzieherinnen- und Erzieherausbildung entscheidende Nachteile: Sie dauert ähnlich lange wie ein Studium – ohne zu einem akademischen Abschluss zu führen und ist im Unterschied zur dualen Berufsausbildung mehrheitlich nicht vergütet. Kompensieren sollen dies neue Ausbildungsformate, die zusätzlich zur vollzeitschulischen Regelausbildung in Teilzeit oder praxisintegriert angeboten werden. Wobei "praxisintegriert" bedeutet, dass die Auszubildenden in einer Kita angestellt sind und für ihre Tätigkeit eine Ausbildungsvergütung erhalten. Zudem existieren vielfältige Möglichkeiten, die Ausbildungsdauer über die Anrechnung entsprechender Vorbildungen zu verkürzen. Hinter dem Etikett "staatlich anerkannte Erzieherin" bzw. "staatlich anerkannter Erzieher" verbirgt sich mithin eine kaum mehr zu überblickende Vielzahl an Ausbildungswegen und Kompetenzniveaus.

Welche anderen Strategien könnten gegen den Fachkräftemangel erfolgsversprechend sein?

Rauschenbach: Bisher komplett vernachlässigt wurde der große Pool der (sozial)pädagogischen Hochschulausbildungen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Bachelor- und Masterstudierende aus diesen Studiengängen nicht gezielt angeworben und befristet eingestellt werden. Wir sprechen hier von gut 150.000 Studierenden allein in fachlich einschlägigen oder affinen Studiengängen. Junge Menschen, die sich ganz dezidiert für einen pädagogischen Beruf entschieden haben. Diese könnten angesichts der immensen Personalnot als Werkstudierende in Teilzeit die Einrichtungen sehr gut unterstützen. Da insbesondere junge Frauen tendenziell eher nach einer Höherqualifizierung streben, wäre das für die Frühe Bildung ein nicht nur naheliegender, sondern auch weitaus qualifizierterer Weg als alle Versuche, fachfremdes Personal zu schulen. Ein Umdenken ist auch deshalb dringend vonnöten, weil selbst die gestiegenen Ausbildungskapazitäten der Fachschulen die enorme Personallücke in Westdeutschland bis Mitte des Jahrzehnts nicht schließen werden – und alle weiteren Ausbildungsreformen viel zu spät greifen.

Weitere Informationen

Zu diesem Thema ist kürzlich der Artikel "Erzieher*innen – ein Qualifikationsprofil in der Zwickmühle. Seitenwege, Irrwege, Auswege." von Prof. Kirsten Fuchs-Rechlin und Prof. Dr. Thomas Rauschenbach in der  in der Zeitschrift Bildung und Erziehung (74. Jahrgang | 2021 | Heft 2) erschienen.

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