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WiFF-Fachforum 2016 Kompetenzorientierung auf dem Prüfstand Potenziale für die Qualifizierung von Kita-Fachkräften

Der Wandel im Bildungssystem weg von der Orientierung an Lehrinhalten hin zu den Lernergebnissen hat dazu geführt, dass auch Ausbildung, Studium und Weiterbildungen für frühpädagogische Fachkräfte an Kompetenzen ausgerichtet sind. Welche Chancen birgt die Kompetenzorientierung für die Qualifizierung von Kita-Fachkräften? Was nutzt sie Lehrenden und Lernenden? Und welche Herausforderungen bringt Kompetenzorientierung als didaktisches Konzept mit sich? Diese Fragen stellte WiFF beim Fachforum am 22. November 2016 am Deutschen Jugendinstitut in München, um sie mit den Teilnehmenden zu diskutieren. Gerahmt wurden die Diskussionsrunden durch Vorträge.

Wichtiger Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der Kindertagesbetreuung

Professor Dr. Bernhard Kalicki, Leiter der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung am Deutschen Jugendinstitut (DJI) © Felix Krammer

Professor Dr. Bernhard Kalicki, Leiter der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung am Deutschen Jugendinstitut (DJI), bezeichnete in seiner Begrüßungsrede WiFF als "Motor". Er hob hervor, dass Erhebungen der WiFF zur Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte für die Entwicklung des Arbeitsfelds Kita eine wichtige Rolle spielen. Berücksichtigt wurden diese auch von der Arbeitsgruppe Frühe Bildung, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kita erarbeitete. Zusammen mit der Zusage der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, künftig zusätzliche Mittel für die Kindertagesbetreuung bereitzustellen, sei dies ein "Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung des Systems Kindertagesbetreuung".

Kompetenzorientierung als Ordnungssystem und didaktisches Konzept

WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König © Felix Krammer

"Im Fokus der Kompetenzorientierung steht das selbstorganisierte Handeln in komplexen Situationen", sagte WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König. In ihrer Einführung skizzierte sie die unterschiedlichen Diskurse über das Thema: Während sich die Schulpädagogik hauptsächlich um die kognitive Leistungsfähigkeit drehe, gehe es in der Berufsbildung um die Handlungsanforderung. Der Diskurs über das Lebenslange Lernen bringe den Aspekt der Durchlässigkeit ein, der gerade in der Aus- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte von Bedeutung sei. Neben den Fachschulen für Sozialpädagogik werden mittlerweile an rund 50 Hochschulstandorten Kindheitspädagoginnen und -pädagogen ausgebildet. 80 Prozent der Studiengänge rechnen Kompetenzen an, die in der Fachschulausbildung erworben wurden. Auch non-formale und informelle Kompetenzen werden teilweise anerkannt. Die Kompetenzorientierung sei nicht nur ein Ordnungssystem, sondern ein didaktisches Konzept, betonte König. In diesem Zusammenhang gebe es noch viele offene Fragen: Wie können Lehr-Lern-Prozesse kompetenzorientiert gestaltet werden? Wie können Kompetenzen in Aus- und Weiterbildung erfasst werden? Welche Bedeutung haben non-formales und

Junge Menschen auf die Lösung unbekannter Probleme vorbereiten

Professor Dr. John Erpenbeck, Steinbeis-Hochschule in Berlin © Felix Krammer

Fachkompetenz sei ohne emotionale Dimension nicht denkbar, sagte Professor Dr. John Erpenbeck, Steinbeis-Hochschule in Berlin. Fachliche Kompetenz sei ein "Amalgam" aus Fertigkeiten und könne nicht getrennt von überfachlicher Kompetenz betrachtet werden. "Grundlegend falsch" sei es, Kompetenz etwa ausschließlich über kognitive Leistungsfähigkeit zu definieren. Vielmehr müsse Kompetenz als Fähigkeit zur kreativen Selbstorganisation verstanden werden. Demnach sei Fachkompetenz die "Fähigkeit, in unerwarteten, zukunftsoffenen zuweilen chaotischen fachlichen Problemsituationen theoretischer oder praktischer Natur kreativ und selbstorganisiert zu handeln". Gerade in Zeiten des schnellen technischen Wandels bestehe die eigentliche Herausforderung des Bildungssystems darin, junge Menschen auf die selbstständige Lösung von Problemen vorzubereiten, die noch nicht bekannt sind. Erpenbeck warnte zudem davor, Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften gleichzusetzen. Zwar könne sich beides gegenseitig beeinflussen, dennoch gebe es einen grundsätzlichen Unterschied: Während Eigenschaften im Laufe eines Lebens in der Regel nur langsam und kaum gezielt beeinflusst werden können, ließen sich Kompetenzen vergleichsweise rasch erwerben. Mit Bezug auf die Neurowissenschaft wies Erpenbeck darauf hin, dass Individuen "emotional berührt" werden müssen, wenn sie Kompetenzen entwickeln sollen. Erst durch die "emotionale Imprägnierung" erkenne das Gehirn eine Information als relevant.

Gibt es ein Einheitsprofil für pädagogische Fachkräfte?

Professorin Dr. Iris Nentwig-Gesemann, Leiterin des Studiengangs "Erziehung und Bildung im Kindesalter" an der Alice Salomon Hochschule © Felix Krammer

"Bildung ist mehr als die Summe von Kompetenzen", sagte Professorin Dr. Iris Nentwig-Gesemann. Die Leiterin des Studiengangs "Erziehung und Bildung im Kindesalter" an der Alice Salomon Hochschule resümierte, dass in den letzten zehn Jahren an Fach- und Hochschulen unzählige, zum Teil sehr detaillierte Kompetenzkataloge und -profile für pädagogische Fachkräfte formuliert worden seien. Selbstkritisch hinterfragte sie diese Tendenz: Kann es überhaupt ein Einheitsprofil geben, zum Beispiel für eine Kita-Leitung? Die Professorin plädierte für ein Kompetenzmodell, das die professionelle Haltung, d.h. pädagogische Werte und Einstellungen, als Kompetenzdimension aufnimmt. Aber wie kann dies Teil des Studiums, der Ausbildung oder gar einer Weiterbildung werden? Einerseits dadurch, dass Theorie- und Erfahrungswissen miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Andererseits durch die Aufforderung, implizites Wissen explizit zu machen, sich über Orientierungen und Bewertungsmaßstäbe klar zu werden. In diesem Zusammenhang hob Nentwig-Gesemann die zentrale Bedeutung der Fallarbeit hervor, die anhand konkret erlebter Praxissituationen auf bestimmte Wissensgebiete rekurriert. Dazu gehöre im weitesten Sinne auch die Arbeit mit der eigenen Biografie. Den größten Entwicklungsbedarf sah Nentwig-Gesemann bei kompetenzorientierte Prüfungen, zumal diese Methoden zeitaufwändiger sind als ein Multiple-Choice-Test zur Überprüfung von Wissen. Abschließend forderte die Vortragende dazu auf, über den subjektorientierten Kompetenzbegriff hinauszugehen – mit dem Ziel, von der individuellen Kompetenz zum kompetenten System zu gelangen, das das Team, die Einrichtung und den Träger ebenso umfasst wie den Sozialraum und politische Strukturen und den gesellschaftlichen Diskurs berücksichtigt.

Debatten an den Runden Tischen

© Felix Krammer

Die didaktische Herausforderung: Theorie "emotional imprägnieren"

Erpenbecks Keynote prägte die Diskussionen an den runden Tischen. Insbesondere der Aspekt, dass Erwachsene nur dann Kompetenzen entwickeln, wenn sie der Lehrinhalt emotional berührt, wurde immer wieder aufgegriffen: Wie können Lehrende didaktisch vorgehen, um Theorie "emotional zu imprägnieren" damit sie Auszubildende, Studierende oder Teilnehmende einer Weiterbildung erreichen? Wie kann es gelingen, individuelle Bezüge der Lernenden zum Thema herzustellen?

Erfordert Umdenken: die neue Rolle des Lehrenden

Eng damit verknüpft waren Diskussionen über die neue Rolle des Lehrenden, die mit der Kompetenzorientierung einhergeht: Wie können Lehrende ihre Haltung verändern und sich mehr als Lernbegleiter und weniger als "Allwissende" verstehen? Kompetenzorientierung fordere zudem die Professionalisierung der Weiterbildnerinnen und Weiterbildner heraus. Lehrende als Multiplikatoren prägen die pädagogischen Fachkräfte und darüber hinaus die Wahrnehmung über sie. Deshalb sei es wichtig, die sozialpädagogische Ausbildung von Lehrenden in allen Bundesländern sicherzustellen.

Braucht geeignete Methoden: Kompetenzen erfassen und messen

Viel diskutiert wurde auch die Frage, wie sich Kompetenzen erfassen und messen lassen – zum Beispiel um Lernenden einen Überblick über den eigenen Lernstand zu geben oder um den Erwerb von Kompetenzen im Rahmen einer Prüfung festzuhalten. Als Mittel hierfür wurden Befragung, Beobachtung und Materialanalyse genannt, insbesondere Videografie und das Verfassen eines Lerntagebuchs hätten sich bewährt. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Prüfungen durch Kompetenzorientierung aufwendiger würden.

Wird häufig unterschätzt: die Bedeutung non-formalen und informellen Lernen

© Felix Krammer

Besonders schwierig ist es, non-formales oder informelles Lernen zu erfassen, so schien es in einer anderen Diskussionsrunde. Dies zeige sich beim praktischen Teil der Erzieherinnen-Ausbildung, der als informell zu bezeichnen sei, aber von der Schule nach Noten bewertet würde. Schule und Praxis seien häufig nur unzureichend verzahnt und es fehle Zeit für Planungs- und Reflexionsrunden Wünschenswert wären gute Modellen für die Kooperation zwischen Fachschule und Kindertageseinrichtung.

Kaum in Zahlen darstellbar: der Nutzen der Kompetenzorientierung

© Felix Krammer

Nicht zuletzt wurden Qualitäts- und Erfolgskontrolle von Kompetenzorientierung diskutiert: Wie lassen sich Kosten und Nutzen kompetenzorientierter Weiterbildungen abwägen? Während die Kosten oft klar zu beziffern seien, sei der Nutzen schwieriger in Zahlen zu belegen. Dies könne ein Hindernis bei der Umsetzung sein. Schließlich dauern kompetenzorientierte Weiterbildungen in der Regel länger als Angebote, die vor allem die Vermittlung von Wissen fokussieren. Um die Umsetzung von Kompetenzorientierung in die Praxis voranzutreiben, sei eine bessere Verzahnung von Politik, Schulen, Aus- und Weiterbildungs- sowie Kita-Trägern wichtig.

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