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WiFF-Bundeskongress 2016 Sprachliche Bildung unter dem Anspruch von Inklusion Fachpolitische und interdisziplinäre Herausforderungen in Kindertageseinrichtungen

Wie kann Sprachliche Bildung Teilhabe und Partizipation für alle Kinder ermöglichen? Und wie erweitert sich dadurch das Aufgabenspektrum von Kita-Fachkräften? Diese Fragen haben rund 200 Teilnehmende beim WiFF-Bundeskongress am 6. und 7. Dezember 2016 in der Repräsentantz der Robert Bosch Stiftung in Berlin diskutiert. Auf dem Programm standen unter anderem Fachforen, in denen Beispiele der Sprachlichen Bildung im Kita-Alltag ebenso vorgestellt wurden wie Forschungsprojekte und Sprachliche Bildung in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Darüber hinaus hielten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Vorträge.

Sprache als Form der Weltaneignung

Professorin Dr. Anke König © Sabine Münch

"Sprachliche Bildung ist keine neue Herausforderung, sondern eine bleibende", sagte WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König. Sie zeichnete nach, welche Trends die sprachliche Bildung seit den Debatten nach der ersten Pisa-Studie durchlaufen hat: Angefangen mit der Sprachdiagnostik, über die Sprachförderung bis zu einer durchgängigen sprachlichen Bildung. Dabei wurde Sprache mehr und mehr als Form der Weltaneignung begriffen und das Kind als Akteur in den Mittelpunkt gerückt. Menschliche Kommunikation sei sozialen Ursprungs und Sprache die Voraussetzung für Partizipation und Teilhabe an der Kultur. Ein Kind benötige bestimmte sozial-kognitive Fähigkeiten, um eine Sprache zu erwerben. Das wiederum führe dazu, dass es neue sozial-kognitive Fähigkeiten ausbilde. Wie sehr Mehrsprachigkeit zum Kita-Alltag gehört, veranschaulichte König mit Zahlen aus dem aktuellen Bildungsbericht: 63 % der betreuten 4- und 5-Jährigen mit Migrationshintergrund sprechen zu Hause überwiegend eine andere Sprache als Deutsch.* Sprachliche Bildung unter dem Anspruch von Inklusion bedeute, keine Sprache auszublenden und jedes Kind in der Vielfalt seiner sprachlichen Kompetenzen wertzuschätzen.

* Wir berichtigen hiermit die auf dem Bundeskongress präsentierten Daten.

Ressourcen der Mehrsprachigkeit besser berücksichtigen

WiFF-Referentin Dr. Tina Friederich

WiFF-Referentin Dr. Tina Friederich griff den Zusammenhang zwischen sprachlicher Bildung und Inklusion auf: Mit der UN-Behindertenrechtskonvention seien auf institutioneller Ebene die Bedingungen für die Teilhabe aller Kinder gegeben. Doch es gehe auch um die individuelle Ebene: Wie können alle Kinder in der Kita beteiligt werden? Sprache sei hier das zentrale Mittel. In der Kita nimmt Heterogenität zu, daher müssen die Ressourcen der Mehrsprachigkeit besser berücksichtigt und genutzt werden, so Friederich mit Blick auf das Prestigegefälle zwischen Sprachen. Individuelle Bildungsunterstützung auf verschiedenen Ebenen sowie feinfühlige Beziehungen seien Voraussetzungen dafür. Dies verändere die Anforderungen an frühpädagogische Fachkräfte und Einrichtungen.

Politische Entscheidungen brauchen belastbare Daten

Professorin Dr. Andrea Eckhardt, Hochschule Zittau/Görlitz © Sabine Münch

Trotz zahlreicher Sprachförderinitiativen ließ sich der Anteil der als sprachförderbedürftig diagnostizierten Kinder bislang nicht reduzieren und bleibt konstant (rund ein Viertel der Vorschulkinder), berichtete Professorin Dr. Andrea Eckhardt von der Hochschule Zittau/Görlitz. Der Bund, insbesondere das Familienministerium, habe in den vergangenen Jahren Initiativen zur Sprachförderung auf den Weg gebracht, u.a. das rund 500 Millionen Euro umfassende Programm "Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration" zur Förderung von Kitas mit einem hohen Anteil an Kindern aus bildungsbenachteiligten Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Die Evaluation dieses Projektes lieferte Hinweise darauf, dass alltagsintegrierte Sprachförderung erfolgversprechend ist. Es habe zudem gezeigt, dass die Zusammenarbeit mit Familien einen positiven Einfluss auf die Entwicklung kindlicher Sprachfähigkeiten habe. Sprachpädagogische Arbeit sei nicht als Aufgabe Einzelner, sondern als Aufgabe der ganzen Einrichtung zu sehen. Auch zahlreiche Projekte der Bildungsforschung haben sich mit Instrumenten der Sprachdiagnostik, mit Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte und mit Wirkungen von Sprachfördermaßnahmen beschäftigt, allerdings nur wenige davon im Elementarbereich. Zudem lassen diese häufig keine Aussagen über Langzeiteffekte zu. Für die Zukunft forderte Eckhardt mehr Forschung in diesem Bereich, vor allem belastbare Daten sowie eine vollständige Darstellung der Ergebnisse, die als Grundlage für politische Entscheidungen wichtig seien.

Alle Kinder sind angehende Mehrsprachige

Professorin Dr. Argyro Panagiotopoulou, Universität zu Köln

"Wie mehrsprachiges Aufwachsen in Deutschland bewertet wird, schwankt – je nach Sprache – zwischen Euphorie und Irritation", stellt Professorin Dr. Argyro Panagiotopoulou von der Universität zu Köln fest. Darüber hinaus würden mehrsprachig aufwachsende Kinder oft mit fiktiven "idealen Muttersprachlern" verglichen, die Sprache angeblich fehler- und akzentfrei verwenden. Im Gegensatz dazu müsse das Repertoire mehrsprachig aufwachsender Kinder als integrales Ganzes gesehen werden und nicht nach monolingualen Maßstäben bewertet werden. Mehrsprachigkeit bedeute nicht, dass Kinder nicht die Bildungssprache Deutsch lernen. Denn Kinder lernen die Umgebungssprache auch dann auf natürlichem Wege, wenn in ihrer mehrsprachigen (zugewanderten) Familie eine oder mehrere Sprachen verwendet werden, die von der Umgebungssprache abweichen. Dabei handeln und lernen sie "quer durch Sprachen hindurch", so Panagiotopoulou. Die "erste Sprachwelt" eines Kindes bilde eine Plattform für die Entwicklung der quersprachigen Kompetenz. Bildungseinrichtungen forderte sie deshalb auf, respektvoll mit den familialen Sprachwelten der Kinder umzugehen. Notwendig dafür sei ein vertieftes Wissen über das, was mehrsprachiges Aufwachsen ausmache: der dynamische, nicht formalisierte Erwerb der Sprachen sowie ihre Anwendung im Zuge eines translingualen kommunikativen Handelns. Der Fokus liege dann nicht mehr auf Sprachsystemen, sondern auf dem sprachübergreifenden "Translanguaging". Die Realisierung einer inklusiven sprachlichen Bildung würde bedeuten, Mehrsprachigkeit als normal zu betrachten, mono- und quersprachige Sprachpraktiken zu würdigen sowie alle Kinder als angehende Mehrsprachige anzuerkennen und sie bei ihrem natürlichen Sprachenerwerb zu unterstützen.

Weg von der Institution, hin zum Kind

Junior-Professor Dr. Stephan Sallat, Universität Erfurt © Sabine Münch

Welche personellen und institutionell-organisatorischen Ressourcen sind für eine gelingende Zusammenarbeit zwischen Kita, externer Sprachförderung und -therapie notwendig? Junior-Professor Dr. Stephan Sallat von der Universität Erfurt konstatierte, dass genug Geld im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem sei, allerdings werde es falsch ausgegeben und die Zuständigkeiten blieben oft unklar. Er führte die unterschiedlichen fachspezifischen Schwerpunkte von Pädagogik, Medizin und Sprachtherapie auf und plädierte für einen veränderten Blick – weg von der Institution hin zum Kind. Ein interdisziplinäres Team in der Praxis müsse sich Fragen stellen, die die sprachliche Entwicklung,  die Lebenswelt und das jeweilige Bildungsziel des Kindes betreffen. Dafür sei eine unvoreingenommene Kooperation der beteiligten Fachkräfte und der Eltern erforderlich, die von gegenseitiger Anerkennung geprägt sein sollte. Hilfreich dafür fände er es, eine gemeinsame Sprache (Fachtermini) zu entwickeln und zu verwenden sowie verbindliche Abläufe zu vereinbaren.

Fachforen

Beispiele aus Praxis, Forschung, Aus- und Weiterbildung

Befunde aus der Forschung: Wie Fachkräfte ein- und mehrsprachige Kinder ideal fördern können

Inklusive und additive Sprachbildung mit bilingualen Kindern in Kitas - die BIVEM-Studie
Wie unterscheiden sich die Kenntnisse der deutschen Sprache bei mehrsprachigen Kindern nach additiver bzw. inklusiver Sprachförderung? Dieser Frage ging der Berliner Interdisziplinäre Verbund für Mehrsprachigkeit (BIVEM) anhand einer Längsschnittstudie (drei Jahre) mit 148 zwei- bis dreijährigen Kindern nach, deren Erstsprachen Russisch und Türkisch sind. Die additive Methode beinhaltete die spielerische Förderung des Wortschatzes, vor allem durch dialogisches Bilderbuch-Lesen. Diese führten Sprachtherapeutinnen und -therapeuten zwei Mal pro Woche (30 bis 40 Minuten) in Kleingruppen durch. Als inklusive Methode galt eine Fortbildung der Kita-Fachkräfte zur alltagsintegrierten Sprachförderung (8 Mal 90 Minuten) mit Supervision. Während sich beim Grammatik-Erwerb keine klaren Effekte zugunsten einer der beiden Varianten zeigten, erzielte die additive Sprachförderung beim Wortschatz bessere Ergebnisse. Dies ist jedoch nicht generalisierbar, da sich die Kitas selbst für eine der beiden Sprachfördermethoden entschieden haben, so Dorothea Posse, ehemalige Mitarbeiterin am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) Berlin. Sie präsentierte die Ergebnisse erstmals auf dem WiFF-Bundeskongress. In der anschließenden Diskussion wurden weitere Bedingungen genannt, die in der Studie nicht berücksichtigt wurden, die aber die Ergebnisse beeinflusst haben könnten: Die unterschiedliche Gruppengröße, die unterschiedliche Anzahl der Fachkräfte, die Kenntnisse der Kinder in den Erstsprachen sowie die Länge des Kontakts zum Deutschen.


Fachliche Kompetenzen im Bereich der Sprachbeobachtung – Ergebnisse einer Erhebung
Kinder durchlaufen verschiedene Phasen des Spracherwerbs. Gezielte Sprachbildung sollte deshalb am individuellen Sprachentwicklungsstand des jeweiligen Kindes ansetzen. Dafür muss dieser qualifiziert festgestellt werden. Allerdings: Nur jede zehnte der befragten Kita-Fachkräfte setzt regelmäßig ein Instrument dafür ein, berichtete Dr. Tobias Ruberg von der Universität Bremen. Eine Befragung von 20 Fachkräften aus 10 Kitas in Bremen zeigte, dass auch das für die Sprachbeobachtung erforderliche Wissen der Fachkräfte, z.B. über Grammatikerwerb oder grammatische Strukturen, gering ist. Als Kontrollgruppe wurden Kolleginnen und Kollegen herangezogen, die zu dem Thema fortgebildet worden waren. Er schlussfolgerte daraus: In der Ausbildung erwerben Erzieherinnen und Erzieher nicht die Fähigkeiten, die sie für die Sprachstandserhebung benötigen. Ruberg plädierte einerseits dafür, dass sich die Ausbildung hier verbessern müsse und stellte andererseits die Frage, ob an dieser Stelle akademisch ausgebildete Fachkräfte bessere Ergebnisse erzielen würden, da sie bei Sprachstrukturwissen besser abgeschnitten hätten und differenzierter mit Sprache umgingen. Auch das Publikum diskutierte über unterschiedlich Qualifizierte in der Kita und mehr Differenzierung in der Ausbildung, zum Beispiel dass sprachlich Kompetente sich zu Sprachförderkräften ausbilden lassen könnten. Problematisiert wurde zudem, dass es in den Einrichtungen keine zusätzliche Zeit für die Vor- und Nachbereitung und auch die Beobachtung des Sprachstands gebe, was dazu führe, dass diese wenig stattfände.

Alltagsintegrierte Sprachförderung – Konzept und Wirksamkeit im KOMPASS-Projekt
Das Projekt KOMPASS (Kompetenzen alltagsintegriert stärken und schützen) bot allen Kita-Fachkräften in Mecklenburg-Vorpommern eine Grundlagenfortbildung (11 Stunden) oder eine fachspezifische Fortbildung (Spracherwerb, Mehrsprachigkeit, Literacy) an, jeweils kombiniert mit Coaching. Danach wurden ihr sprachspezifisches Wissen und sprachförderliches Verhalten in der Kita erhoben sowie die sprachlichen Kompetenzen von 142 Kindern erfasst und beides zueinander in Bezug gesetzt. Die Ergebnisse zeigen: Die Fortbildung führt kurzfristig zu einem Zuwachs an Fachwissen in beiden Fachkraft-Gruppen. Entwicklungsförderliches Verhalten zeigten die Fachkräfte zu drei Messzeitpunkten innerhalb von knapp drei Jahren. Die Coachings einzelner Fachkräfte verstärkten diesen Effekt nicht.  Vermutlich schlagen sich diese erst später in der Praxis und vor allem in der kindlichen Entwicklung nieder, so die These von Professorin Dr. Tanja Jungmann von der Universität Rostock. Auch die literalen und sprachlichen Kompetenzen der Kinder nahmen nach den Fortbildungen signifikant zu. "Der beste Prädiktor für die Entwicklung des Kindes ist sein Sprachstand zum ersten Messzeitpunkt. An zweiter Stelle folgen das spezifische Wissen der Fachkräfte, die Qualität der Kindertageseinrichtung und die Fortbildungsteilnahme auf Ebene der Fachkräfte", sagt Jungmann.

Sprache im Kita-Alltag: Bücher erleben, Sprachtherapie und -bildung in der Praxis

Praxiskonzepte inklusiver sprachlicher Bildung
Inklusion bedeute nicht, das Kind dem System anzupassen, sondern dieses nach den Bedürfnissen des Kindes umzugestalten, betonte Professor Dr. Jörg Mußmann von der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich. Die Kitas des Hamburger Trägers "Elbkinder" verfügen bereits über die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen, um inklusive Bildung zu realisieren. Ziel des Projekts war es, nun auch alltagsintegriert in der Kindertageseinrichtung – und nicht mehr nur in externen logopädischen Praxen – therapeutisch tätig zu werden. Dazu mussten die jeweiligen Rollenverständnisse von Erzieherinnen und Therapeutinnen sowie die Übertragung von Verantwortlichkeiten geklärt werden. Nicht nebeneinander, sondern miteinander zu arbeiten zeigte sich als Herausforderung für beide: Indem die Erzieherinnen den Therapeutinnen das Bildungsziel für das jeweilige Kind erläuterten, die dann wiederum ihre Therapieansätze vorstellten, fanden beide eine gemeinsame Sprache – nämlich die des Kindes, erläuterte Mußmann. Wertvolle Hilfe bot zudem eine umfassende Handreichung für das gesamte Kita-Team sowie – an der Schnittstelle – der vermittelnde Einsatz von Sonderpädagoginnen. Eine integrative Sprachförderung müsse nicht weniger effizient sein als eine ausgelagerte, so das vorläufige Fazit des Projekts. Ihr Erfolg hänge jedoch stark von der individuellen Haltung der Fachkraft, der gegenseitigen Wertschätzung der beteiligten Berufsgruppen sowie gemeinsamer Dokumentations- und Kommunikationsroutinen ab. Eine zentrale Steuerungsfunktion komme in diesem Prozess des "Change-Managements" der Kita-Leitung zu.

Literacy in der Kita - Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte durch das Leseprojekt "Erlebte Bücher"
Seit 2015 entwickelt das Landeskompetenzzentrum zur Sprachförderung an Kindertageseinrichtungen in Sachsen (LakoS) das Leseprojekt "Erlebte Bücher". Es bringt pädagogischen Fachkräften in Fortbildungen die Techniken Dialogischer Bilderbuchbetrachtung näher, bietet Hilfe bei der Auswahl themenspezifischer Bücher und stellt kostenfrei eine Handreichung mit Praxisbeispielen zur Verfügung. Neben der Notwendigkeit guter Rahmenbedingungen wie Personal, Licht- und Raumverhältnisse habe es sich als sinnvoll erwiesen, mit möglichst kleinen Kindergruppen (max. ca. fünf Kinder) zu arbeiten, so Robert Jurleta vom LaKoS. Problematisch bleibe die langfristige Implementierung der Fortbildungsinhalte in den Kita-Alltag: Denn auch wenn die verwendeten Beispielbücher zur Nachbereitung noch eine Zeitlang in der Kita verblieben, hänge der Erfolg letztlich von der persönlichen Affinität der jeweiligen Fachkraft zu Büchern ab, welche meist biografisch verankert sei und nicht in der Fortbildung vermittelt werden könne. Problematisch sei zudem, dass unter den beteiligten pädagogischen Fachkräften die Technik des Dialogischen Lesens nur in Ansätzen bekannt sei und dass generell auf wenig reflektiertes Methodenwissen, sondern nur intuitives Handlungswissen zurückgegriffen werden könne.

Kita-Fachkräfte und Grundschulen gestalten die Sprachbildung gemeinsam
Das Dortmunder Projekt "Sprachbrücken" versucht eine durchgängige Sprachbildung in Kitas und Grundschulen zu etablieren. Dazu wurde "von Praktikern für Praktiker" ein Orientierungsrahmen entwickelt, der gemeinsame (Sprach-)Ziele formuliert, so Andrea Molkentin von der Stadt Dortmund. Grundlegende Aufgabe der Beteiligten war zuallererst, sich auf einheitliche Begrifflichkeiten zu einigen. Vier Netzwerke aus insgesamt 21 Kitas und sechs Grundschulen sollten dann in ihren Einrichtungen diese Vorschläge erproben. Künftig wird die Herausforderung darin bestehen, die derzeitige Kooperation zwischen den Kitas und den Grundschulen verbindlich und nachhaltig zu gestalten. Dazu sei es notwendig, die bestehende Zusammenarbeit durch langfristige Strukturen, eine fachwissenschaftliche Begleitung sowie die Abstimmung von Dokumentations- und Kommunikationsroutinen zu vertiefen. Als vorläufiger Zwischenstand lasse sich festhalten: Von zentraler Bedeutung sei, dass Erzieherinnen und Lehrerinnen sich ein gemeinsames Verständnis von Sprache und den Zielen sprachlicher Bildung erarbeiteten. Schlüssel hierzu sei die Konzeption gemeinsamer Fortbildungen und Gesprächsforen.

Praxisbeispiele aus den Fachschulen: Sprachbildung und Inklusion in der Fachkräfte-Ausbildung

Sprachliche Bildung und Inklusion in der Ausbildung von Kita-Fachkräften
Eine qualitativ hochwertige Sprachförderung setzt grundlegende Kenntnisse über Sprache und Spracherwerb voraus, die jedoch in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern nur unzureichend berücksichtigt werden. Ziel eines DFG- Transferprojektes war daher das "Qualifizierungsmodul Sprache" zu konzipieren, durchzuführen und zu evaluieren, das Erzieherinnen und Erziehern in der Sprachstandserhebung und Sprachförderung qualifiziert. Das Ausbildungsmodul ist in aktuelle Bildungspläne integrierbar und wird derzeit in Hamburg in die Fachschulausbildung implementiert. Levka Koch-Jensen und Svenja Harder von der Beruflichen Schule Hamburg-Harburg stellten das Projekt vor. Es wurde von 2007 bis 2011 von der Universität Hamburg, drei Fachschulen sowie den "Elbkinder"-Kitas entwickelt. Zentrales Element ist ein neu verfasstes Lehrbuch, das die Beobachtung und Einschätzung von Sprache und Kommunikation der Kinder während der Ausbildung unterstützen soll. Schülerinnen und Schüler können bei der Analyse von Fallvignetten mit Sprechsituationen zwischen Kindern und Fachkräften das Lehrbuch und die darin enthaltener Checklisten nutzen, um die Sprachentwicklung der Kinder einzuschätzen.

Das Modellprojekt "Sprache macht stark! – Fachschule"
Kerstin Mehler vom Mannheimer Zentrum für Empirische Mehrsprachigkeitsforschung (MAZEM) stellte das Modellprojekt "Sprache macht stark! – Fachschule" vor: Von 2011 bis 2015 wurden an vier Fachschulen in drei Bundesländern Curricula zur Sprachlichen Bildung entwickelt und implementiert. Je ein auf die jeweilige Schule zugeschnittenes Curriculum sollte die fachschulische Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern im Bereich Sprache unterstützen. Denn die Anforderungen in der Ausbildung variieren je nach Bundesland: Die Anzahl der Stunden, die in der Ausbildung für sprachliche Bildung aufgewendet werden, unterscheiden sich ebenso wie das Vorwissen und der Hintergrund der Schülerinnen und Schüler, die Ausbildung der Lehrkräfte sowie die strukturellen Rahmenbedingungen der Fachschulen. Die Curricula wurden in mehreren Arbeits- und Reflexionstreffen entwickelt und während der Implementierung im Unterricht sukzessive überarbeitet. Das MAZEM übernahm dabei u. a. eine methodische und didaktische Beratungsfunktion und hat sich im Hinblick auf Unterstützungsbedarfe mit den Fachschulen ausgetauscht. Darüber hinaus wurden die Lehrkräfte fortgebildet, um sie bei der Vermittlung von Sprachförderkompetenzen zu unterstützen.

Der Aufbaubildungsgang Sprachbildung der Fachschulen für Sozialpädagogik in NRW – Qualitätsstandards entwickeln und Lehrende für den Unterricht qualifizieren
Dr. Hedwig Metschies vom Hönne-Berufskolleg stellte den Aufbaubildungsgang (ABG) "Sprachbildung" vor, der in Nordrhein-Westfalen Studierenden nach Abschluss der Ausbildung berufsbegleitend eine Professionalisierung ermöglicht. Welche Wirkung der Ausbildungsgang erzielt, wurde anhand einer Befragung jeweils vor und nach dem Besuch erhoben: Erzieherinnen, die teilgenommen hatten, verfügten über signifikant mehr sprachförderrelevantes Wissen als die Vergleichsgruppe. Allerdings hatten die Schwierigkeiten, das Wissen in der Praxis umzusetzen. Die Lehrenden problematisierten zudem, sich selbst nicht qualifiziert zu fühlen, um Erzieherinnen adäquat auszubilden. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen hat daraufhin unter wissenschaftlicher Begleitung der Technischen Universität Dortmund ein Professionalisierungskonzept für Lehrende entwickelt, das u.a. das Einzugsgebiet der Fachschulen und die individuellen Fähigkeiten der Lehrenden berücksichtigt.

Weiterbildungen zum Thema Sprachbildung: Kommunikation unterstützen, Interaktion und Sprache fördern

"Hab’ ich dein Ohr nur, find’ ich schon mein Wort" – Sprachsensibles Handeln als Grundlage inklusiver Pädagogik
Sprachförderung ist effektiv, wenn das Kind ermutigt wird, sich aktiv zu beteiligen, und das Angebot dem Interesse des Kindes folgt. Mechthild Dörfler von der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie zeigte auf, wie interaktions- und sprachfördernde Strategien miteinander verbunden werden können und wie auf diese Weise eine positive Lernumgebung entstehen kann. Sie nahm dabei bezug auf Erfahrungen mit einer kommunalen Qualifizierungsinitiative zur Sprachbildung in Kitas. Diese haben gezeigt, dass Selbstreflexion anhand von Videoaufnahmen eine erfolgsversprechende Methode sei. Es brauche zudem Zeit, Veränderungen im kommunikativen Handeln und in den Abläufen der Kita einzuüben, anzupassen und im Team weiterzuentwickeln. Der Leitung habe eine Schlüsselrolle für einen erfolgreichen Transfer von neuen Erkenntnissen in die Einrichtung.

"Unterstützte Kommunikation für alle" als inklusives Lehr- und Lernfeld in Kindertagesstätten
Professorin Dr. Barbara Hänel-Faulhaber und Maren Lukasczyk von der Universität Hamburg sowie
Franziska Sterner von der Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kitas stellten das gemeinsam entwickelte
Fortbildungsmodul "Unterstützte Kommunikation (UK) für alle" vor: Es hat zum Ziel, Formen der visuell unterstützten Kommunikation als alltagsintegrierte Sprachförderung in inklusiven Kitas einzuführen. Denn Forschungsergebnisse belegen, dass Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten auch visuell unterstützt werden können. Dazu entwickelte das Team Praxismaterialien für Fachkräfte, zum Beispiel Gebärdenfilme und Kombinationskarten. In der Fortbildung selbst wurden Dienstbesprechungen, Praxisreflexionen sowie deren Transfer in die Teams thematisiert. Vor und ein halbes Jahr nachdem die Fachkräfte die Fortbildung besucht hatten, wurde ausgewertet, inwiefern Kinder in drei Kitas Gebärdensprache einsetzen. Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Einsatz der Gebärdensprache nicht davon abhängt, ob ein Kind ein- oder mehrsprachig ist ob es einen Förderbedarf hat und wie alt bzw. welchen Geschlechts es ist. Das bedeutet, dass die Kinder gleichermaßen von der Gebärdensprache profitieren können.

Das Qualifizierungskonzept "Die Sprache der Jüngsten entdecken und begleiten"
Dr. Eva Born-Rauchenecker stellte ein Qualifizierungskonzept vor, das das Deutsche Jugendinstitut in Kooperation mit Weiterbildnerinnen und Weiterbildnern entwickelt hat, um pädagogische Fachkräfte für sprachliche Entwicklungsprozesse in der Kindheit und die Funktionen von Sprache zu sensibilisieren. In der Qualifizierung wird nach Möglichkeit mit Video-Aufnahmen aus dem Kita-Alltag gearbeitet. Anhand der Video-Vignetten und einer Leitfragen-gestützten Reflexion können Fachkräfte Sprachkompetenzen von Kindern feststellen, pädagogisches Handeln analysieren und Sprachbildungspotenziale identifizieren. Erste Erfahrungen mit der Umsetzung haben gezeigt, dass insbesondere die Haltung der Weiterbildnerinnen und Weiterbildner für den Transfer in die Praxis entscheidend sind. Daneben sei es wichtig, die Rahmenbedingungen der Kita zu bedenken und ihr Profil aufzugreifen.

Podiumsgespräch

Wie muss sprachliche Bildung gestaltet werden, damit sie die Ansprüche an eine inklusive Bildung erfüllt?

Moderiert von Professorin Dr. Anke König diskutierten die Teilnehmenden beim Podiumsgespräch unter anderem die Entwicklungen der sprachlichen Bildung in den letzten zehn Jahren sowie die künftigen Herausforderungen insbesondere im Zusammenhang mit Inklusion. Einige Statements aus dem Gespräch:

Nora Damme, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend © Sabine Münch

Dass Heterogenität zum Kita-Alltag gehöre, heiße nicht, dass sie reflektiert werde und man ihr mit entsprechenden Konzepten begegne, sagte Nora Damme vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. An dieser Stelle sei weiterhin fachwissenschaftliche Unterstützung erforderlich.

Professor Dr. Michael Becker-Mrotzek, Universität zu Köln © Sabine Münch

Sprachliche Bildung ist eine Aufgabe für das gesamte Bildungssystem, betonte Professor Dr. Michael Becker-Mrotzek von der Universität zu Köln. Offen sei die Frage, wie erreicht werden könne, dass alle Kinder einen Abschluss machen. Das sei Ziel einer inklusiven Bildung. Er warnte aber davor, Mehrsprachigkeit im Rahmen von Inklusion als Behinderung wahrzunehmen. Politisch sei Inklusion zwar als erwünscht gesetzt, ihre Dimensionen seien jedoch noch offen.  Dafür seien interdisziplinäre Kooperationen erforderlich, um sich darauf zu verständigen, wie die kindlichen Entwicklungsstadien beschrieben werden können.

Professorin Dr. Solveig Chilla, Pädagogische Hochschule Heidelberg

"Mehrsprachigkeit ist heute als Realität, aber nicht als Normalität anerkannt", sagte Professorin Dr. Solveig Chilla von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Pädagogische Fachkräfte seien nach wie vor unsicher darin, adäquat zu handeln. Dies spiegle sich in den bestehenden Vorurteilen bezüglich "nützlicher" und "weniger nützlichen" Sprachen wider. Die Diskussion über Mehrsprachigkeit werde derzeit zu sehr vom Blick auf den Deutscherwerb dominiert. Dabei hänge mangelnder Bildungserfolg häufig mehr mit der soziökonomischen Lage der Familie zusammen als mit der Mehrsprachigkeit. Zudem habe nicht jedes mehrsprachige Kind einen Migrationshintergrund.

Professorin em. Dr. Iris Füssenich,Pädagogischen Hochschule Ludwigsbur

Im Rahmen von Inklusion sind Sprachfördermaßnahmen künftig besser aufeinander abzustimmen, als dies bislang der Fall ist, fordert Professorin em. Dr. Iris Füssenich von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Zudem müsse die Bildungsbiografie erhoben werden, bevor mit der Förderung begonnen werde. Schließlich dürfe eine inklusive sprachliche Bildung nicht länger an einer Bewertung nach der Sprachnorm festhalten. Dazu müsse konsequent Sprache als Handeln begriffen werden. Danach darf die Frage also nicht mehr lauten: Spricht das Kind korrekt? Sondern: Durchläuft es bestimmte Entwicklungsstadien oder stagniert es? Nicht die isolierte Sprachfertigkeit, sondern das je spezifische Bildungsziel des Kindes muss inklusive sprachliche Bildung fokussieren.

Eindrücke vom WiFF-Bundeskongerss

Ein weiterer Bericht zur Veranstaltung erschien bei nifbe – Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Erziehung: „Inklusion und Sprache gehören zusammen“.

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