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Interview mit Prof. Dr. Thomas Rauschenbach "Erzieherin ist ein Bildungsberuf"

Der Deutsche Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (DQR) stuft die Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher an einer Fachschule und ein kindheitspädagogisches Bachelor-Studium auf demselben Niveau ein. Dies hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. WiFF hat mit DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach über mögliche Auswirkungen gesprochen. Weitere Positionen von Vertreterinnen und Vertretern aus Fach- und Hochschulen, Politik und Gewerkschaften präsentieren die Weiterbildungsinitiative und das Deutsche Jugendinstitut in dem Buch "Gleich und doch nicht gleich – Der Deutsche Qualifikationsrahmen und seine Folgen für frühpädagogische Ausbildungen".

DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach

In der Frühpädagogik gab es eine große Kontroverse über diese Entscheidung. Haben Sie das erwartet?

Die Kontroverse kam jedenfalls nicht ganz überraschend. In Deutschland sind die Welten von beruflicher und akademischer Bildung bislang strikt getrennt. Wenn durch ein neues Instrument wie der DQR nun die Grenzen zwischen diesen unterschiedlichen Traditionen abgebaut werden und somit der Fachschul-Abschluss einer Erzieherin gleich bewertet wird wie der Bachelorabschluss der Kindheitspädagogin einer Fachhochschule, birgt das Konfliktpotenzial. Von solcher Gleichwertigkeit werden auf Anhieb sicherlich nicht alle begeistert sein.

Wenn der DQR Studium und Ausbildung auf einem Niveau sieht, warum sollte dann jemand studieren, zumal damit kein höheres Gehalt verbunden ist?

Individuell mag trotzdem manches für ein Studium sprechen – etwa ein erwarteter Kompetenzgewinn, ein Interesse am wissenschaftlichen Zugang zur Frühpädagogik oder erhoffte bessere Aufstiegsperspektiven. Auch wenn von der DQR-Entscheidung ein Impuls ausgeht, der auf den ersten Blick wegführt vom Studium, ist keineswegs ausgemacht, ob das gesamte Arbeitsfeld nicht dennoch immer stärker eine Akademisierung der Ausbildung benötigt. Zudem: Was die Bezahlung anbelangt, müssen wir erst einmal abwarten, wie sich das in den nächsten fünf Jahren einpendelt. Wie die Auswirkungen des DQR künftig also sein werden, wird sich erst noch zeigen.

Was bedeutet die Einstufung konkret in der Praxis? Wo wird sie sichtbar, und was bringt sie den Fachkräften?

Auch das lässt sich noch nicht genau abschätzen. Wir wissen beispielsweise nicht, wie sich die Einstufung in den nächsten Tarifverhandlungen auswirken wird. Wir wissen auch nicht, wie die Fachschulen reagieren: Nehmen sie die DQR-Kriterien als Benchmark und überprüfen kritisch, was sie davon bereits erreichen? Oder betrachten sie die Einstufung als Qualitätslabel, das weitere Anstrengungen überflüssig macht? Zu hoffen ist jedenfalls, dass dieser Impuls nicht zu Beharrungen führt, sondern zum Aufbruch und zu Innovation beiträgt.

Welche Fragen lässt die DQR-Einstufung offen, die in Zukunft noch geklärt werden müssen?

Die Einstufung ist jetzt erst einmal Fakt; damit müssen alle Beteiligten leben. Offen sind noch die Auswirkungen des DQR. Hier werden die nächsten Jahre zeigen, ob er Relevanz im Berufsfeld erreicht und welche das möglicherweise ist. Und es stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit non-formal und informell erworbenen Kompetenzen um, die als Bestandteil des DQR-Konzeptes ebenfalls anrechenbar sein sollen? Nähern wir uns langsam aber sicher dem Ende der klassischen einschlägigen Ausbildungen? Öffnen wir die Qualifizierungswege für neue Qualifizierungswege und -formate, wie dies jetzt etwa bei den Seiteneinstiegen immer mehr der Fall zu sein scheint?

Welche Folgen und Auswirkungen könnte die DQR-Einstufung aus Ihrer Sicht in Zukunft noch haben?

Ich würde mir wünschen, dass wir über die Einstufung der Erzieherinnenausbildung noch einmal neu nachdenken. Ist es diesem Bildungsberuf unter den heutigen Rahmenbedingungen wirklich angemessen, dass dafür immer noch fast ausschließlich berufliche Schulen ausbilden? Oder sollten wir überlegen, wie wir einen Teil der Fachschulen näher an die Welt der Hochschulen heranführen, wie das beispielsweise im Feld der Sozialen Arbeit in den 1960er-Jahren geschehen ist? Ich denke, dass für diese institutionelle "Karriere" des Berufs vieles spricht: Erzieherin ist ein Beruf, für den man nicht qua Mütterlichkeit qualifiziert ist, wie manche noch meinen. Es ist ein Bildungsberuf, der entsprechende Ausbildungen benötigt wie alle anderen Bildungsberufe auch. Wir sollten uns auch politisch verständigen, welcher Anteil eines Ausbildungsjahrgangs eine Fachschule und welcher Anteil eine Hochschule besucht haben soll. Um es mit einem Vergleich zum Gesundheitssystem auszudrücken: Der Wissenschaftsrat hat für die Gesundheitsberufe vorgeschlagen, dass künftig 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs akademisch qualifiziert werden sollen. Solche Zielgrößen kann ich mir für die Frühpädagogik ebenfalls vorstellen.

Gleich und doch nicht gleich

Der Deutsche Qualifikationsrahmen und seine Auswirkungen auf frühpädagogische Ausbildungen"

Der erste Teil fasst Beiträge zu Ausbildungswegen und Ausbildungsforschung in der Frühpädagogik zusammen. Der zweite Teil stellt die Frühpädagogik in den Zusammenhang von Bildungssystemen und personenbezogenen Dienstleistungen. Teil drei und vier zeigen Standpunkte zur frühpädagogischen DQR-Kontroverse auf. Herausgeberinnen und Herausgeber sind Felix Berth, Angelika Diller, Carola Nürnberg und Thomas Rauschenbach. Das Buch ist als Band 10 der Reihe "DJI Fachforum Bildung und Erziehung" erschienen und für 12,80 Euro im deutschen Buchhandel erhältlich.

Der Deutsche Qualifikationsrahmen soll Kompetenzen vergleichbar machen

Hintergrundinfo

Der DQR wurde im Mai 2013 von Bund und Ländern unterschrieben. Er soll in Anlehnung an den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) sämtliche Kompetenzen Bildungsbereich übergreifend sichtbar und vergleichbar machen. Dafür werden sie in acht Niveaustufen klassifiziert.

Ein kindheitspädagogisches Bachelor-Studium und eine Erzieherinnen-Ausbildung an einer Fachschule stuft der DQR auf Level 6 ein. Während die Fachschulen die Eingruppierung von Fachschulausbildung und Hochschulstudium auf einer Niveaustufe begrüßen und darin die Qualität ihrer Ausbildung anerkannt sehen, stellen Hochschulvertreter infrage, ob ein Studium unter diesen Umständen für künftige Fachkräfte erstrebenswert bleibt.

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