Themen

WiFF-Bundeskongress 2017 Kinder als Akteure – Bildungsteilhabe und Partizipation in der Kita

Zu diesem Thema fand der WiFF-Bundeskongress am 16. November 2017 in Berlin statt. Dreh- und Angelpunkt dieser Schlüsselbegriffe der aktuellen Inklusionsdebatte ist die Akteurschaft der Kinder. Wie können sie das Geschehen in der Kita mitgestalten? Welche Bedingungen braucht es, damit Bildungsangebote und somit Bildungschancen allen Kindern offen stehen? Damit beschäftigten sich die Vorträge und Sessions. In einem World Café tauschten sich die ca. 150 Teilnehmenden über gelungene Beispiele und Stolpersteine bei der Umsetzung von Partizipation aus. Dabei diskutierten sie auch ihren eigenen Beitrag, um Partizipation tiefer in der Gesellschaft zu verankern.

Die Welt besteht nicht aus einem, sondern vielen Menschen

Professorin Dr. Anke König hält Einführungsvortrag
WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König © Sabine Münch

"Jeder Einzelne ist für die Gestaltung der Welt essentiell. Pädagoginnen und Pädagogen müssen daran anknüpfen, um das Ganze zu schaffen", sagte WiFF-Leitung Professorin Dr. Anke König. In ihrem Einführungsvortrag stellte sie die philosophischen, anthropologischen, pädagogischen und rechtlichen Grundlagen von Teilhabe und Partizipation vor. Sie machte deutlich, dass Kinder auf ihre Lebens- und Lernzusammenhänge Einfluss nehmen, unabhängig von den Zielen und Erwartungen der sie umgebenden Erwachsenen. Bereits sehr junge Kinder sind wirkmächtig: Sie interagieren durch den Blickkontakt mit ihrem Gegenüber und drücken durch die Zeigegeste Kooperation mit anderen aus. Kita-Fachkräfte stehen vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen der Autonomie des Kindes und der Sorge des Erwachsenen. Dieses Gleichgewicht gelte es feinfühlig auszuloten, um Partizipation zu ermöglichen. 

World Café

Wie kann man eine große Gruppe von Teilnehmenden miteinander vernetzen und anregen, ein gemeinsames vertieftes Verständnis zu einem Thema zu entwickeln? WiFF hat dazu für den Bundeskongress die Methode des World Cafés gewählt. Jeweils fünf Personen fanden sich an einem Tisch zusammen, um in wechselnder Zusammensetzung zu diskutieren. Während sich in Runde eins und zwei Teilnehmende unterschiedlicher Professionen zu der selben Fragestellung austauschten, trafen sich in Runde drei jeweils Akteure an einem Tisch, die im gleichen Bereich der Frühen Bildung tätig sind. Die wichtigsten Ergebnisse ihres Gesprächs wurden schriftlich festgehalten und in einem Gallery Walk den anderen Teilnehmenden präsentiert. Diese konnten mit Klebepunkten ihre Zustimmung zu einzelnen Aspekten ausdrücken.

Runde 1 und 2

Damit Partizipation funktioniert, braucht es eine tiefgreifende Verankerung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Welche Beispiele kenne ich/habe ich erlebt, wo sehe ich Stolpersteine? (Auswahl)

Runde 3

Was müssen wir in unserem Bereich tun oder anschieben, um Partizipation tiefer in der Gesellschaft zu verankern, und was brauchen wir dafür von anderen? (Auswahl)

Schlaglichter

Im Anschluss an das World Café wurden die Aussagen mit den meisten Punkten im Plenum betrachtet. Unterstützt wurde dies durch Professorin Dr. Sabine Lingenauber von der Hochschule Fulda und Professor Jo Jerg von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Folgender roter Faden zog sich durch die Diskussionen an den Tischen: 

In den allermeisten Sektoren und Organisationen stößt die Umsetzung von Partizipation auf strukturelle und kulturelle Probleme. 

Niedrigschwellige Maßnahmen könnten hier spürbare Veränderungen erwirken:

  • Ziele, Strategien und Handlungspläne gemeinsam entwickeln
  • Arenen für Mitbestimmung, Diskussion, Austausch schaffen
  • Vernetzung von Akteuren und Sektoren untereinander vorantreiben


Partizipative Ansätze in Entwicklung von Organisationen und Sektoren bewirken mehr Partizipation in der Gesellschaft (durch Haltungsveränderungen, gesellschaftliches und individuelles Lernen, Vorbildfunktion).

Es braucht aber auch

  • Ressourcen
  • Politischen Willen und Rahmenbedingungen
  • Fach- und Personalkompetenz
  • Hohe Reflexionskompetenz

Sessions: Diskurslinien, pädagogische Ansätze und Forschungsbeiträge

Intergrative Kindertagesbetreuung und Teilhabe

Dr. Katja Flämig und Anna Beutin beleuchteten anhand von Fallvignetten, wie sich Gruppenbildung in Kindertageseinrichtungen vollzieht und wie Fachkräfte diese steuern. Die Beispiele stammten aus einer ethnografischen Studie, für die die WiFF-Referentinnen Situationen in integrativen Einrichtungen mit der Videokamera begleitet haben. Wer mit wem spielt oder gemeinsam am Tisch sitzt, handeln die Kinder in der Regel untereinander aus. Durch das Abzählen oder das gegenseitige Wählenlassen der Kinder, nehmen die Fachkräfte Einfluss auf die Verteilung von Personen und Handlungen. Die Beobachtung zeigt: Durch diese Verfahren können Gruppenstrukturen aufgebrochen, aber auch vorhandene ausgrenzende Dynamiken verstärkt werden. Die Teilnehmenden lobten die Methode der schriftlich dokumentierten Fallvignetten: Es lohne sich, diese auf den ersten Blick unscheinbaren Aktivitäten genau unter die Lupe zu nehmen, da solche Szenen viel über die Herausforderungen der Praxis aussagten.

Präsentation zur Session

Mehr zur Teilhabe-Studie der WiFF

Bildungsteilhabe und Partizipation in der Fort- und Weiterbildung

WiFF-Referentin Maria Irl stellte den neu erschienenen WiFF Wegweiser Weiterbildung "Bildungsteilhabe und Partizipation" vor. Die Publikationsreihe Wegweiser Weiterbildung verfolgt das Ziel, Lehrpersonen bei der Planung und Umsetzung von wissenschaftsbasierten und kompetenzorientierten Angeboten für frühpädagogische Fachkräfte zu unterstützen. Herzstück ist ein Kompetenzprofil, das WiFF gemeinsam mit einer multiprofessionell zusammengesetzten Gruppe aus Expertinnen und Experten zu einem Thema erarbeitet. Neben dem Einsatz in Fort- und Weiterbildungen dient der Wegweiser auch Trägern oder Kita-Leitungen als Instrument zur Qualitätsentwicklung oder Reflexion von Handlungsanforderungen und den im Team benötigten Kompetenzen.

Präsentation zur Session

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung

"Inklusion und Partizipation brauchen einander gegenseitig", sagte Petra Wagner, Leitung der Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung im Institut für den Situationsansatz (Berlin). Als umfassender pädagogischer Ansatz fordere Inklusion auf, Dominanz und Unterdrückung in den Strukturen der Gesellschaft zu erkennen, auch im System der Bildung. Zudem mahne der Ansatz zu erkennen, wie jede und jeder Einzelne in das Funktionieren der Ungleichheitsverhältnisse "verstrickt" ist. Den Blick hierfür zu schärfen, beschrieb Wagner als wesentliches Anliegen der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Diese verfolge vier Ziele: 1. Kinder in ihren Identitäten stärken, 2. ihnen Erfahrungen mit Vielfalt ermöglichen, 3. sie zum kritischen Denken über Gerechtigkeit und Fairness anregen sowie 4. sie zum Aktivwerden gegen Unrecht und Diskriminierung ermutigen.

Präsentation zum Vortrag

Partizipation in Schweizer Kindertageseinrichtungen

Das Projekt PINKS (Partizipation in der frühesten Kindheit Schweizer Kindertageseinrichtungen) untersucht, wie Partizipation in Schweizer Kindertageseinrichtungen realisiert wird. "Kinder sind immer schon Akteure, unabhängig davon, ob sie von Erwachsenen dazu befähigt werden", erläuterten Professor Dr. Sascha Neumann und Nicole Hekel von der Universität Luxembourg die Grundannahme des Forschungsprojekts. Mit den Mitteln ethnografischer Feldforschung hat das Projekt in neun Schweizer Kindertageseinrichtungen jeweils zwei Wochen lang regelmäßig wiederkehrende Alltagssituationen beobachtet (z.B. Morgenkreis und Mahlzeiten). Dabei konnten sie drei Formen der Akteurschaft ausmachen: Dabeisein, Mitmachen und Einflussnehmen. Eine erste Auswertung der Daten zeigt zudem: Diese Formen der Akteurschaft variieren je nach Aktivität stark. Zudem schließen konkrete Umsetzungsformen von Partizipation oftmals Möglichkeit für andere aus, was die Akteurschaft der Kinder im Ergebnis einschränken kann.

Präsentation zur Session

Interview mit Professor Dr. Sascha Neumann zum Projekt PINKS

Reckahner Reflexionen: Leitlinien zur Ethik pädagogischer Beziehungen

"Die Mehrheit der Kita-Fachkräfte realisiert gute pädagogische Beziehungen, aber Studien zeigen auch, dass 20% der Interaktionen mit Kindern verletzend oder sehr verletzend sind", berichtete Ursula Winklhofer. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut hat den Entstehungsprozess der "Reckahner Reflexionen" begleitet und gehört zum Redaktionsteam der veröffentlichten Materialien. Von 2011 bis 2016 haben Expertinnen und Experten in einer jährlichen Konferenz im brandenburgischen Reckahn über die Ethik pädagogischer Beziehungen diskutiert. Daraus hervorgegangen sind zehn Leitlinien, die definieren, welches Verhalten im Kontext von Bildungsinstitutionen ethisch begründet und welches ethisch unbegründet ist. Die Anwendung von seelischer oder körperlicher Gewalt gegen Kinder und Jugendliche werde in Einrichtungen oftmals tabuisiert, so ein Hinweis der Teilnehmenden. Neben der Ethik brauche es eine Methodik, die aufzeigt, wie es zu einer anerkennenden wertschätzenden Interaktion kommt.


Präsentation zur Session Videos zu den Reckahner Reflexionen auf dem WiFF Youtube-Kanal

 

Teilhabe und Partizipation bei Trägern der Kinder- und Jugendhilfe

Barbara Henkys leitet den Bereich Kita und Familie von FiPP e.V. (Fortbildungsinstitut für die pädagogische Praxis). Dieser hat sich von einem kleinen basisdemokratisch organisierten Verein zu einem Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit ca. 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 55 Einrichtungen und Projekten entwickelt. Der Träger hat Instrumente etabliert, um die partizipative Organisationskultur aus den Gründungsjahren zu bewahren. Dazu zählen jährliche Arbeitstagungen mit Delegierten aus allen Bereichen, regelmäßige Einzelgespräche der Geschäftsführung mit den Teams und Leitungen in den Einrichtungen sowie die Vernetzung der Einrichtungen und Projekte eines Bezirks zu Regionalteams, die auch als Interessensvertretung fungieren. "Eine positive Einstellung zur Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden, Transparenz und Spielraum für die Eigenverantwortung sehen wir als eine der wichtigen Voraussetzungen für die Partizipation der Mitglieder der Organisation an", fasste Barbara Henkys den Grundgedanken von FiPP e.V. zusammen.

Partizipation und Vielfalt als Querschnittsthemen in der Ausbildung

Meral Meindl stellte Beispiele zur Umsetzung von Partizipation und Vielfalt aus ihrer Unterrichtspraxis an der Staatlichen Fachakademie für Sozialpädagogik in Freising vor. Sie betonte, dass diese Themen  Querschnittsaufgaben seien, die in der Ausbildung an den Lernorten Schule und Praxis stets mitgedacht werden sollten. Anhand einer wöchentlich stattfindenden 5-stündigen Unterrichtseinheit erläuterte sie auch Selbstwahlmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler. Zum Thema der Vielfalt betonte sie, dass auch die Hintergründe von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Anleitungen berücksichtigt werden sollten. In der Diskussion wird das Spannungsverhältnis zwischen der Selbstwahl der Schülerinnen und Schüler, den vorgegebenen Themen im Rahmen der Ausbildung und der Abstimmung mit anderen Lernfeldern thematisiert. So müssten einige Themen seitens der Lehrkraft auch gesetzt werden. Diskutiert wurden darüber hinaus die mit der Selbstwahlmöglichkeit verbundenen Herausforderungen für die Teamarbeit der Lehrkräfte und für die Bewertung bzw. Beurteilung. Vorgeschlagen wurde, die Schülerinnen und Schüler auch in die Bestimmung von Bewertungskriterien einzubeziehen.

Präsentation zur Session

Motor der Entwicklung für alle Kinder: das inklusive freie Spiel

Professor Dr. Ulrich Heimlich hält Vortrag
Professor Dr. Ulrich Heimlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München © Sabine Münch

"Das Spiel mit Gleichaltrigen ist ein Motor der Entwicklung für alle Kinder", bemerkte Professor Dr. Ulrich Heimlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München bei seinem Vortrag zu Partizipation und Teilhabe im freien Spiel. Denn Kinder lernen nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Gleichaltrigen, wie der Lehrstuhlinhaber für Lernbehindertenpädagogik und Autor einer WiFF-Expertise erklärte. Studien zufolge zeige sich in inklusiven Settings kein Unterschied zwischen dem Spielverhalten von Kindern mit und ohne Behinderung. Als Kontrasterfahrung zwischen Person und Umwelt biete das Spiel Lerngelegenheiten und fördere die Entfaltung der Individualität. Intrinsische Motivation, Phantasie und Selbstkontrolle seien zentrale Merkmale des freien Spiels. Fachkräfte, die das Spiel in inklusiven Settings fördern möchten, empfahl Heimlich die Beobachtung und Dokumentation der Spielprozesse, etwa durch Spieltagebücher, Spielprotokolle oder auch eine Spielkooperationsskala. Zudem riet er zur "aktiven Passivität" als Handlungsmuster, um

©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
©  Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch
© Sabine Münch

"Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen": WiFF-Bundeskongress in der Video-Dokumentation

Partizipation ist nicht nur ein Thema der Kita. „Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema“, sagt Professorin Dr. Anke König in der Video-Dokumentation der Tagung. „Das ist den unterschiedlichen Akteursgruppen bewusst.“ Das zeigte sich auch an der Vielfalt des Tagungspublikums: Unter den 150 Teilnehmenden waren Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Forschung, Ausbildung und dem Arbeitsfeld Kita.

Publikation zum Thema

Weitere Beiträge zum Thema

nach oben