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Im Interview Maria-Theresia Münch, Berlin

Maria-Theresia Münch ist wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. Dieser beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der ganztägigen Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern in der Grundschulzeit, hat Empfehlungen zur Ausgestaltung der Angebote formuliert und auch den Gesetzgebungsprozess zum Rechtsanspruch intensiv begleitet. Bereits in den 90er Jahren hat sich Maria-Theresia Münch im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Mainz zur Implementierung der Ganztagsschule in Rheinland-Pfalz intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Maria-Theresia Münch

Welche Aspekte machen aus Ihrer Sicht einen gelungenen Ganztag aus?

Von einer gelingenden ganztägigen Erziehung, Bildung und Betreuung für Kinder in der Grundschulzeit kann dann gesprochen werden, wenn in der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule ein gegenseitiges Verständnis über die jeweils originären Handlungsprämissen und Strukturlogiken herbeigeführt werden kann. Gelingt das, kann es auch gelingen, die Angebote von beiden Seiten in gemeinsam getragener Verantwortung auf Augenhöhe zu gestalten. Und schließlich würde ich dann von einem gelungenen Ganztag sprechen, wenn die Angebote so ausgestaltet sind, dass sie das Wohlbefinden der Kinder und ihre Entfaltungsmöglichkeiten ebenso wie die Bedarfe der Eltern nach Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben bestmöglich unterstützen können.

Welche zentralen Kompetenzen benötigt das pädagogisch tätige Personal, um dies umzusetzen?

Sie sollten die Strukturlogiken und Handlungsprämissen der im Ganztag miteinander verbundenen Systeme kennen. Gleichzeitig sollten sie in der Lage sein, aus dem jeweiligen Professionsverständnis heraus, ein eigenes Selbstverständnis zu entwickeln, welches in einem gemeinsamen pädagogischen Handeln münden kann. Sozialpädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte sollten sensibel sein für die Vielfalt der Lebenslagen von Kindern und ihren Familien. Ihr pädagogisches Handeln müssen sie daraufhin fortlaufend reflektieren und so ausrichten, dass es allen Kindern gleichermaßen Teilhabe ermöglicht.

Vor welchen Herausforderungen steht das Personal der ganztägigen Bildungseinrichtungen?

Eine zentrale Herausforderung besteht in der notwendigen Balance zwischen Aufsicht, Erziehung, Bildung, Betreuung und Fürsorge einerseits und dem entwicklungsabhängigen Bedürfnis der Kinder nach Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit andererseits. Dies bedeutet, dass Kindern mit zunehmendem Alter die eigenständige Gestaltung von (Zeit-)Räumen ohne Erwachsene ermöglicht wird. Diese Anforderungen müssen in jedem Betreuungssetting, unabhängig von Angebotsform und Trägerschaft, berücksichtigt und konzeptionell verankert werden. Für das Wohlbefinden der Kinder ist Kontinuität in den sozialen Beziehungen wichtig – zu den Erwachsenen wie zur Kindergruppe. Dabei sind mit zunehmendem Alter vorrangig die selbstgewählten Freundschaften von Bedeutung, weniger die gesamte Schulklasse oder Hortgruppe. Verlässlichkeit und Kontinuität stehen nicht selten in einem Spannungsverhältnis zu der von Eltern wie auch Kindern gewünschten und benötigten Flexibilität der Betreuungszeiten.

Welchen Aspekt möchten Sie in der Expertengruppe stark machen?

Mein Blick ist zunächst der auf die grundlegenden Prämissen der Kinder- und Jugendhilfe, welche im Sozialgesetzbuch VIII hinterlegt sind: Lebensweltorientierung, Ressourcenorientierung, ein ganzheitliches Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsverständnis und die Unterstützung der Kinder auf ihrem Weg zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Dieses Verständnis als Grundlage jeglichen (sozial-)pädagogischen Handelns im Ganztag möchte ich einbringen. Zum anderen möchte ich mich dafür stark machen, dass sich Schule und Kinder- und Jugendhilfe sowie weitere Akteurinnen und Akteure in einem fortlaufenden Verständigungsprozess als Verantwortungsgemeinschaft verstehen lernen.

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