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WiFF-Fachforum am 27. Juni 2024 Macht Personalnot erfinderisch? Perspektiven und Lösungsansätze zum Fachkräftemangel

Der Personalmangel im gesamten sozialen Sektor hat sich zur Krise ausgewachsen. Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflegeeinrichtungen müssen ganze Stationen oder Dienste schließen. Kindertageseinrichtungen sehen sich gezwungen, Betreuungszeiten einzuschränken oder Gruppen zu vergrößern, Unterbringungsplätze für gefährdete Kinder- und Jugendliche sind rar und auch Fachkräfte im öffentlichen Dienst wie z.B. im Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter lassen sich zunehmend schwerer finden.

Der Aufgabe, Strategien im Umgang mit dem Fachkräftemangel sektorübergreifend für das gesamte Feld sozialer Berufe in den Blick zu nehmen, stellten sich die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. im Rahmen einer gemeinsamen Fachtagung für  Praxis und Wissenschaft.

Begrüßung und Einführung

Professorin Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin © Andreas Schwarz

Prof. Dr. Fuchs-Rechlin, Projektleiterin der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, eröffnnete die Fachtagung und ging zunächst auf aktuelle Entwicklungen bei der Personalsituation in der Kindertagesbetreuung ein. Trotz enormer bundesweiter Zuwächse der letzten Jahre zeichne insbesondere in den westlichen Bundesländern eine dramatische Fachkräftelücke ab, die nicht durch die Zahl der Ausbildungsabgänger:innen gedeckt werden.

Nora Schmidt, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. © Andreas Schwarz

Nora Schmidt, Geschäftsführerin beim Deutschen Verein, begrüßte die Bereitschaft der Teilnehmenden zum Blick über den Tellerrand. Der Fachkräftemangel betreffe längst nahezu die gesamte soziale Infrastruktur. Es sei daher dringend notwendig bereichsübergreifend zu erörtern, welche kurz-, mittel- und langfristigen Ansätze zur Bewältigung des Personalbedarfs greifen. Auch sei zu überlegen, wie die einzelnen Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe, der Pflege und der Eingliederungshilfe voneinander lernen können. Eine realistische Bestandsaufnahme sowie gemeinsame Strategien seien mehr denn je gefragt.

Keynote Prof. Dr. Rothgang: Was bringt das neue Personalbemessungsinstrument in der Pflege?

Prof. Dr. Heinz Rothgang, Universität Bremen © Andreas Schwarz

In allen Arbeitsfeldern viel diskutiert ist die Frage nach einer korrekten, an den jeweiligen Anforderungen und Aufgaben orientierten Personalbemessung sowie nach einem angemessenen Einsatz von Fach- und Assistenzkräften. In der stationären Langzeitpflege wurden hierzu bereits bundeseinheitliche Kriterien entwickelt und eine gesetzliche Regelung geschaffen. Diese stellt Prof. Dr. Heinz Rothgang, Leiter der Forschungsgruppe Rothgang, in seinem Keynote-Vortrag vor. Ausgangspunkt war eine allgemein konstatierte, jedoch schwer quantifizierbare personelle Unterbesetzung in der stationären Langzeitpflege. Basierend auf der systematischen Beobachtung und Beschreibung einzelner Kernprozesse wurde ein Algorithmus entwickelt, der in Abhängigkeit vom Pflegegrad der Bewohner:innen den Personalbedarf einer Einrichtung bestimmt. Im Ergebnis wurde ein bundesweiter durchschnittlicher Mehrbedarf an Personal von etwa 30 Prozent ermittelt, und zwar überwiegend im Bereich ausgebildeter Assistenzkräfte. Auf dieser Grundlage wurde die seit Juni 2023 gültige bundeseinheitliche Regelung zur Refinanzierung von Personal in Pflegeeinrichtungen eingeführt, die es Einrichtungen stufenweise ermöglicht, Personal im Umfang des ermittelten Bedarfes zu refinanzieren. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung war, dass Aufgaben nicht kompetenzorientiert, sondern eher zufällig von Mitarbeiter:innen verschiedener Qualifikationsniveaus ausgeführt wurden. In einem bundesweiten Modellprojekt wird daher in derzeit zehn Einrichtungen eine kompetenzorientierte und an den Bewohner:innen ausgerichtete Arbeitsorganisation entwickelt, eingeübt und evaluiert.

Keynote Prof. Dr. Tina Friederich: Strategien für den Fachkräftemangel in Kindertageseinrichtungen

Prof. Dr. Tina Friederich, Katholische Stiftungshochschule, München © Andreas Schwarz

Im zweiten Keynote-Vortrag zeigte Prof. Dr. Tina Friederich von der Katholischen Stiftungshochschule München auf, welche Strategien der Personalgewinnung und -bindung frühpädagogischen Personals in den letzten Jahren zum Einsatz kommen. Zu beobachten sei, dass weder die Öffnung der Fachkräftekataloge der Länder für verschiedene Berufe und Qualifikationsstufen noch die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland noch die Ausweitung der Ausbildungskapazitäten zu nennenwerten Aufwüchsen geführt haben. Die zahlenmäßig relevanteste Steigerung beim Personal lasse sich derzeit bei der Einbindung fachfremder Personen für nicht erzieherische Aufgaben - insbesondere Hauswirtschaft - beobachten; hier stellen sich jedoch auch erhebliche Herausforderungen für eine qualifikationsangemessene Verteilung der Aufgaben und die Zusammenarbeit im Team.

Parallele Workshops mit Impulsvorträgen

Gitta Bernshausen, Vorständin a.D., Sozialwerk St. Georg e.V., Gelsenkirchen © Andreas Schwarz

Workshop 1: Personalgewinnung – Konzepte und Instrumente: Wie können Zugänge diversifiziert und Qualifizierungswege erleichtert werden?

Gitta Bernshausen, Vorständin des Trägers Sozialwerk St. Georg Gelsenkirchen, stellte Herausforderungen bei der Personalgewinnung im Handlungsfeld Eingliederungshilfe vor. Die Eingliederungshilfe unterstütze Menschen mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen aller Altersgruppen und sei ein sich ausweitender Markt bei gleichzeitig geringen Steuerungsmöglichkeiten. Stellenweise sei der Versorgungsanspruch aufgrund von Personalmangel gefährdet. Mit verschiedensten Maßnahmen werde derzeit versucht, die Personallücke zu schließen und neues Personal zu gewinnen: Neben fachlich einschlägig qualifizierten Fachkräften, würden Quereinsteiger/innen und Fachkräfte aus dem Ausland durch barrierearme Weiterqualifizierungsmaßnahmen gewonnen. Oftmals erfolge die Einarbeitung über Training on the Job. Stellenweise würden auch Mitarbeiter/innen aus Zeitarbeitsfirmen eingesetzt. Eine arbeitsteilige Zusammenarbeit von Fach- und Assistenzkräften werde als hilfreich erlebt. Bei ungünstigen Dienstzeiten z.B. im Falle von pflegenden Angehörigen würden auch stundenweise Arbeitsformate für Mitarbeiter/innen angeboten. Für bestimmte Dokumentationsaufgaben werde KI eingesetzt. Entscheidend für eine erfolgreiche Personalgewinnung und -bindung sei es, die Arbeitgebermarke herauszustellen, d.h. deutlich zu machen, für welche Bilder und Arbeitweisen die Eingliederungshilfe stehe. Es gehe um „Glaubwürdigkeit“ und „Werte“, die nach außen sichtbar gemacht werden müssten. Zugleich müsse die Qualität der Arbeitgeberorganisation transparent gemacht und die neuen, aber auch bereits tätigen Mitarbeiter/innen darin bestärkt werden, auf ihre Arbeit stolz zu sein.

Xenia Roth, stellvertretende Leiterin der Abteilung Frühkindliche Bildung, Ganztag und schulische Unterstützungsangebote für die Referatsgruppe Frühkindliche Bildung im rheinland-pfälzischen Bildungsministerium beleuchtete das Arbeitsfeld Kindertagesbetreuung: Auch in der Kindertagesbetreuung fehlten enorm viele Fachkräfte und weiteres Personal. Gekennzeichnet sei das Feld durch eine enorme Trägervielfalt, teils geprägt durch ehrenamtliche Strukturen, kleine - und Kleinstträger, teils durch große hoch professionalisierte Träger. Verantwortlich für die Rahmensetzung seien die Länder auf der Grundlage des SGB VIII, verantwortlich für die konkrete Angebotsausgestaltung seien die Kommunen und Träger. Neben den bereits für die Eingliederungshilfe benannten Personalgewinnungsmaßnahmen, werde aktuell für die Kindertagesbetreuung die Neu- bzw. einheitlichere Gestaltung der Erstausbildung diskutiert, mit dem Ziel, einerseits neue Zielgruppen für die Arbeit in Kindetageseinrichtungen zu gewinnen und gleichzeitig die Assistenzberufe besser zu konturieren und damit attraktiver zu gestalten. Erforderlich seien zudem die Etablierung und Sichtbarmachung von Karrierewegen.

Die Teilnehmenden diskutierten kritisch, ob die aktuellen Maßnahmen tatsächlich ausreichen, die akute Personalkrise zu lösen. Social Media solle stärker genutzt und bestehende Fachkräfte stärker eingebunden werden, u.a. bei möglichen Imagekampagnen. Es brauche zudem eine aktive Personalgewinnung im Ausland, und es müsse geprüft werden, inwieweit bereits ausgeschiedenes Personal wieder zurückgewonnen werden könne. Für eine Reduzierung der Teilzeitquote seien attraktive Rahmenbedingungen notwendig, bspw. Ferienbetreuung für die Kinder von Mitarbeitenden. Insgesamt sei die Organisationskultur entscheidend, sowohl der Ausbildungsstätten als auch der Träger und Einrichtungen.

Leitende Frage bei den Personalgewinnungsmaßnahmen müssten die Bedürfnisse und Bedarfe der Adressat/innen der jeweiligen Leistungsangebote sein. Daher sei wichtig, nicht ausschließlich die unteren Qualifizierungsstufen in den Blick zu nehmen, sondern ebenso die hochschulischen Ausbildungen. Teils bestehe bei Jobcentern aber auch bei den Trägern selbst unzureichendes Wissen, wer mit welcher Qualifizierung für welche Aufgabe eingestellt werden könne. Hier bestehe entsprechender Fortbildungsbedarf.

Ergebnisoffen wurde die Auswirkungen des demographischen Wandels in den ostdeutschen Bundesländern und der Umgang mit den mittelfristig freiwerdenden Personalkapazitäten diskutiert. Es seien zudem ggf. durch Personalabbau in anderen Branchen entstehende Personalkapazitäten in den Blick zu nehmen und zielgruppenspezifische Gewinnungsstrategien zu entwickeln. Angesprochen wurde auch die aktuelle Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. die Einführung eines sogenannten verpflichtenden Gesellschaftsjahres. Mit Blick auf die möglicherweise damit verbundene Ausweitung des Freiwilligen Sozialen Jahres bestehe auch hier Personalgewinnungspotential.

In Bezug auf Auszubildende und Studierende wurde von mancherorts hohen Abgängen nach dem ersten Ausbildungs- bzw. Studienjahr berichtet. Hier müssten Ursachenforschung betrieben und Haltestrategien entwickelt werden. Praxisintegrierende Formate hätten sich bewährt und seien ein geeignetes Instrument für die Anstellungsträger, sich als zukünftige Arbeitgeber bekannt zu machen. Ergebnisoffen diskutiert wurde auch die Möglichkeit der Dualisierung von Ausbildung und Studium und die damit einhergehende größere Verantwortung von Trägern für die Aus- und Weiterbildung.

Workshop 2: Entlastungspotenziale – Angebotssteuerung und Aufgabenkritik: Was muss anders geleistet werden, was kann wegfallen?

Ines Henke, Niedersächsischer Landkreistag, Referat Soziales, Gesundheit, Kinder- und
Jugendhilfe und Arbeitsmarkt © Andreas Schwarz

Wo einerseits die Potentiale der Gewinnung und Bindung von Arbeitskräften an Grenzen stoßen und andererseits Bedarfe steigen bzw. auf hohem Niveau verharren, stellt sich die Frage, wie die soziale Infrastruktur gleichwohl erhalten werden kann.

Ines Henke, Beigeordnete für Soziales, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe sowie Arbeitsmarkt beim Niedersächsischen Landkreistag, zeigte auf, wie im Land Niedersachsen Weichen gestellt werden, um durch ein Flexibilisierung von Standards sowie Entbürokratisierung auf kommunaler und Landesebene Freiräume zu gewinnen und die soziale Handlungsfähigkeit zu erhalten: So seien in den Hilfen zur Erziehung und der Kindertagesbetreuung die Möglichkeiten, Assistenzkräfte und Personen  mit anderen Ausbildungen zu beschäftigen, teils befristet, in mehreren Schritten erweitert  worden. Gleichzeitig werde für die Berufe Erzieher/in, Heilerziehungspfleger/in und Pflegefachkraft geworben, Assistenzausbildungen und Quereinstiege würden gefördert. Insgesamt gehe es um den Dreiklang Personalgewinnung/-bindung, Flexibilisierung von Standards sowie Entbürokratisierung und eine ‚Politik des Machbaren‘ bei der Leistungserbringung.

Eine ressourcenorientierte Leistungserbringung war Thema des Inputs von Matthias Röder, Leiter des Jugendamtes Darmstadt-Dieburg. Jugendämter befänden sich in dem Dilemma, für die Gewährleistung der Leistungen verantwortlich zu sein, jedoch (perspektivisch) nicht genug (personelle) Mittel haben, um das jetzige Leistungssystem bedarfsgerecht zu gestalten. Entlastung könne, wo möglich eine Abkehr vom derzeitigen hochsegregierten einzelfallorientierten Hilfesystem und eine Hinwendung zu einer Leistungserbringung in Kombination mit gruppenbezogenen Angeboten und kooperativen, multiprofessionellen und lebensweltnahen Konzepten. Nur über kooperative Systeme, wo Träger sich gegenseitig belegen können, sei es aus seiner Sicht möglich, mit insgesamt weniger Personal, Hilfen in der gebotenen Ausdifferenzierung lebensweltnah und in der Fläche zu organisieren und somit den vielen unterschiedlichen komplexen Problemlagen gerecht werden können. Ein Beispiel für eine modulhafte kombinierte Angebotsgestaltung für junge Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen stellte Herr Röder vor. Voraussetzung sei auf kommunaler Ebene der Ausbau institutionsübergreifender kooperativer Leistungen auf Basis angepasster Leistungsvereinbarungen und Finanzierungsmodelle. Auf Länder- bzw. Bundesebene wäre eine Erweiterung des Leistungsrechtes hilfreich und andererseits konzeptionelle Unterstützung, damit nicht jedes Jugendamt für sich allein diese komplexe Aufgabe lösen müsse.

Gefragt nach der konkreten vertraglichen Umsetzung führte Herr Röder aus, es handele sich nicht um eine sozialraumbezogene, sondern um eine fallbezogene Budgetierung, also um Einzelfallhilfen, die in einem bestimmten Umfang fallübergreifende und fallunspezifische Leistungen enthalten.

In der anschließenden Diskussion wurde die Parallele zur Eingliederungshilfe gezogen, wo nach dem BTHG bereits die Notwendigkeit besteht, dass sich die örtlichen Träger vernetzen müssen, um bedarfsgerechte Hilfen in der Gruppe vorzuhalten, um eine bedarfsgerechte Zusammenstellung von Hilfen über die unabhängige Teilhabeberatung zu ermöglichen.

Die Kooperationsfähigkeit der Träger untereinander vor Ort herzustellen, innerhalb der jeweiligen SGBs, aber auch übergreifend, sei eine große Herausforderung, die Unterstützung durch Bund und Länder brauche, sowohl bei den Rahmenbedingungen als auch bei der Evaluation. Als Beispiel wurde die von Frau Henke vorgestellte zeitlich befristete und mit Evaluation hinterlegte Flexibilisierung der Fachkraftkataloge in der Kindertagesbetreuung in Niedersachsen genannt.

Schon heute bestünden Möglichkeiten, Versäulungen aufzulösen und kombinierte Leistungen anzubieten, diese müssten allerdings proaktiv genutzt werden. Eine konkrete Möglichkeit sei die überregionale Kooperation bei bestimmten Leistungen. Außerdem könne es gewinnbringend sein, junge Menschen und Eltern zu beteiligen, auch bei der Frage, wie mit weniger Personal das Leistungssystem umgebaut werden könne, welche Prioritäten gesetzt und welche Leistungen ggf. zurückgefahren werden könnten.

Matthias Röder, Jugendamt Darmstadt-Dieburg © Andreas Schwarz

Eine ressourcenorientierte Leistungserbringung war Thema des Inputs von Matthias Röder, Leiter des Jugendamtes Darmstadt-Dieburg. Jugendämter befänden sich in dem Dilemma, für die Gewährleistung der Leistungen verantwortlich zu sein, jedoch (perspektivisch) nicht genug (personelle) Mittel zu haben, um das jetzige Leistungssystem bedarfsgerecht zu gestalten. Entlastung könne, wo möglich, eine Abkehr vom hochsegregierten und einzelfallorientierten Hilfesystem schaffen. Anstelle dessen könnte die Leistungserbringung durch eine Kombination mit gruppenbezogenen Angeboten und kooperativen, multiprofessionellen und lebensweltnahen Konzepten erfolgen. Nur über kooperative Systeme, wo Träger sich gegenseitig belegen können, sei es aus seiner Sicht möglich, mit insgesamt weniger Personal, Hilfen in der gebotenen Ausdifferenzierung lebensweltnah und in der Fläche zu organisieren. Nur so könne den vielen unterschiedlichen komplexen Problemlagen begegnet werden. Herr Röder stellte ein Beispiel für eine modulhafte kombinierte Angebotsgestaltung für junge Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen vor. Voraussetzung sei auf kommunaler Ebene der Ausbau institutionsübergreifender kooperativer Leistungen auf Basis angepasster Leistungsvereinbarungen und Finanzierungsmodelle. Auf Länder- bzw. Bundesebene wäre eine Erweiterung des Leistungsrechtes hilfreich und andererseits konzeptionelle Unterstützung, damit nicht jedes Jugendamt für sich allein diese komplexe Aufgabe lösen müsse.

Gefragt nach der konkreten vertraglichen Umsetzung führte Herr Röder aus, es handele sich nicht um eine sozialraumbezogene, sondern um eine fallbezogene Budgetierung, also um Einzelfallhilfen, die in einem bestimmten Umfang fallübergreifende und fallunspezifische Leistungen enthalten.

In der anschließenden Diskussion wurde die Parallele zur Eingliederungshilfe gezogen, wo nach dem BTHG bereits die Notwendigkeit besteht, dass sich die örtlichen Träger vernetzen müssen, um bedarfsgerechte Hilfen in der Gruppe vorzuhalten, um eine bedarfsgerechte Zusammenstellung von Hilfen über die unabhängige Teilhabeberatung zu ermöglichen.

Die Kooperationsfähigkeit der Träger untereinander vor Ort herzustellen, innerhalb der jeweiligen SGBs, aber auch übergreifend, sei eine große Herausforderung, die Unterstützung durch Bund und Länder brauche, sowohl bei den Rahmenbedingungen als auch bei der Evaluation. Als Beispiel wurde die von Frau Henke vorgestellte zeitlich befristete und mit Evaluation hinterlegte Flexibilisierung der Fachkraftkataloge in der Kindertagesbetreuung in Niedersachsen genannt.

Schon heute bestünden Möglichkeiten, Versäulungen aufzulösen und kombinierte Leistungen anzubieten, diese müssten allerdings proaktiv genutzt werden. Eine konkrete Möglichkeit sei die überregionale Kooperation bei bestimmten Leistungen. Außerdem könne es gewinnbringend sein, junge Menschen und Eltern zu beteiligen, auch bei der Frage, wie mit weniger Personal das Leistungssystem umgebaut werden könne, welche Prioritäten gesetzt und welche Leistungen ggf. zurückgefahren werden könnten.

Workshop 3: Digitalisierungschancen – Verwaltung und Organisation: Welche Potenziale bieten digitale Technologien?

Christoph Potthoff, Diakonie Michaelshoven Pflege und Wohnen gGmbH © Andreas Schwarz

Im Workshop „Digitalisierungschancen in Verwaltung und Organisation“ wurden zwei Praxisbeispiele zur Einführung und Nutzung digitaler Prozesse aus dem Pflegebereich und der frühen Bildung vorgestellt.

Christian Potthoff von der Diakonie Michaelshoven Pflege und Wohnen, stellte in seinem Vortrag zum Thema (Team + Prozesse) + Digitalisierung =  Zukunftsgestalter der Pflege den Einsatz verschiedener KI-Systeme in der Pflege zur Unterstützung unterschiedlicher Arbeitsprozesse vor, darunter insbesondere die Dokumentation durch Spracheingabe mittels Voize-Technologie. Entscheidend für eine als gewinnbringend und hilfreich empfundene Einführung digitalisierter Prozesse sei, zunächst die Abläufe in der Einrichtung gut zu strukturieren und eine anerkennungsbasierte Team- und Leitungskultur zu pflegen, und sodann zielgerichtet hinsichtlich der Bedeutung und Förderung KI-gestützter Systeme im beruflichen Arbeitsalltag zu kommunizieren und Mitarbeitenden wo immer möglich eine Mitgestaltung zu ermöglichen. So wurden für die Implementierung der Voize-Technologie wurden zusätzlich zur Schulung aller Mitarbeitenden einzelne „Voize-Coaches“ ausgebildet, die ihren Kolleg:innen im Sinne eines „Peer-to-Peer Learnings“ bei der Anwendung zur Seite stehen. Bereits 80 Prozent der Mitarbeitenden nutzten diese Technologie in der Diakonie Michaelshoven. Pro Pflegefachkraft würden damit pro Schicht ca. 20 Minuten an Zeit eingespart, die in der originären Pflege eingesetzt werden könnten.

Lena Przibylla, Zweckverband der Kitas im Erzbistum Berlin © Andreas Schwarz

Lena Przibylla vom Zweckverband der Kitas im Erzbistum Berlin stellte das Projekt "Kita-Lab und Intranet: Auf dem Weg zur vernetzten Zusammenarbeit" vor. Beim Träger Hedi Kitas wurde ein vernetztes Intranet über Microsoft 365 in 73 Kindertageseinrichtungen in den Regionen Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern implementiert. Über das Intranet soll jede Fachkraft an allen Prozessen beteiligt werden, über Neuigkeiten informiert werden und durch die eigene Partizipation an den Prozessen mitgestalten können. Der Ansatz sieht auch vor, dass Informationen über die unterschiedlichen Endgeräte und Formate (audio oder schriftlich etc.) jederzeit abrufbar sind. Im Rahmen des Vortrages wurde die Leitung der Kindertageseinrichtung als Schlüsselperson für die Einführung von digitalisierten Prozessen und Tools hervorgehoben. Außerdem wird für die Mitarbeitenden eine IT-Schulung unter Kolleg/innen durchgeführt und eine offene digitale Sprechstunde angeboten. Ziel der digitalen Vernetzung bei Hedi Kitas ist es beispielweise weniger E-Mails zu benutzen und Informationen zentral via Intranet zu übermitteln. Auch sollen über eine eigene Kita-Homepage Informationen vermittelt und mithilfe einer Eltern-App direkter und schneller kommuniziert werden. Ein Kita-Blog mit inhaltlichen Beiträgen zu aktuellen Themen rundet das Angebot ab. 

In der anschließenden Diskussion wurde erörtert, welche Visionen und Transferstrategien aus den vorgestellten Impulsreferaten auf andere soziale Berufsfelder übertragen werden könnten. Es wurde diskutiert, dass die gemeinsame Entwicklung und Implementierung digitalisierter Prozesse durch die Teams eine vielseitige Arbeitserleichterung bedeuten kann. Für die Einführung digitalisierter Prozesse ist dabei die Einbindung der Teams wichtig, um die Bedeutung und den Nutzen dieser zu verdeutlichen. Stichworte wie Vernetzung, Mitverantwortlichkeit und Entlastung und das gemeinsame Verständnis innerhalb einer Organisation wurden als bedeutsame Faktoren zusammengetragen. Für erfolgreiche Transferstrategien zur Implementierung digitaler Prozesse in sozialen Berufsfeldern könnte beispielweise auf multiprofessionelle Teams gesetzt werden. Diese Teams bringen unterschiedliche Perspektiven, Fachkenntnisse und Kompetenzen ein. Auch Multiplikator/innen können  eine zentrale Rolle einnehmen, indem sie Wissen und Fähigkeiten im Bereich der Digitalisierung verbreiten und die Akzeptanz im Team steigern. Eine gründliche Analyse der Strukturen ist zudem notwendig, um den Bedarf an digitalen Prozessen zu ermitteln. Dabei sollten bestehende Arbeitsabläufe und die Bereitschaft zur Veränderung der Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Es gilt, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu nutzen und besonders diejenigen mit Interesse und Motivation für Digitalisierung einzubinden. Dies kann auch zur langfristigen Fachkräftebindung beitragen. Klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind entscheidend für eine strukturierte und effiziente Umsetzung digitaler Prozesse. So kann sichergestellt werden, dass alle relevanten Aspekte abgedeckt und das digitale Innovationen in der Praxis erfolgreich realisiert werden können.

Workshop 4: Fachkräftebindung – Onboarding, Arbeitskultur und Gesundheitsförderung: Wie können Mitarbeiter:innen gestärkt und gehalten werden

Brigitte Buermann-Gerdes, Leben mit Behinderung, Hamburg © Andreas Schwarz

Brigitte Buermann-Gerdes von der Initiative Leben mit Behinderung aus Hamburg berichtete von der Personalstrategie „Besser mit Dir“, die wenige Jahre nach Einführung und Unterfütterung mit einer Projektstelle bereits Wirkung zeige: Die Anzahl der notwendigen Stellenbesetzungsverfahren sei um rund 50 Prozent gesunken. Das Programm mit den Handlungsfeldern Arbeitsumfang, Strukturen und Prozesse, Kommunikation und Information sowie Kompetenz ziele darauf, die Bindung der Mitarbeitenden über mehr Arbeitszufriedenheit zu stärken und dafür vor allem die Arbeitsbedingungen zu verbessern sowie mehr Gestaltungsspielräume und Beteiligungsmöglichkeiten für Mitarbeitende zu schaffen. Ein ganz wesentlicher Baustein sei dabei die systemische Führung mit Feedbackkultur, Beziehungspflege und grundsätzlich konstruktiver Haltung. Dafür wurden u.a. ein Mitarbeitendenportal, neue Einarbeitungsprozesse, Digitalisierung und Unterstützungsangebote für Gesundheit und soziale Beratungsmöglichkeiten eingeführt. In der Testphase befinde sich außerdem ein neues Ausfallmanagement mit Schattendiensten. Frau Buermann-Guerdes betonte, für das Gelingen der Strategie seien insbesondere kompetente Führungskräfte notwendig, die sich mit Wertschätzung und Interesse auf ihre Mitarbeitenden einlassen und in der Steuerung stark sind.

Claudia Manz-Knoll, Kindertagesstätten Nordpfälzer Glückskinder © Andreas Schwarz

Wertschätzung steht auch im Zentrum des Konzepts der „Atmosphärische Führung als Schlüssel zur Arbeitsplatz Zufriedenheit“ von dem Claudia Manz-Knoll von der Kindertagesstätte Nordpfälzer Glückskinder berichtete. Sie stellte die Organisationsstruktur der Nordpfälzer Glückskinder in ihrer Funktion einer pädagogischen Gesamtleitung vor, die als Besonderheit neben einer Fachbereichsleitung und den sogenannten Standortleitungen der Kitas, die Trägeraufgaben der Kitas und die Belange der pädagogischen Mitarbeitenden begleiten. 

Gelingende Personalbindung wurden mit Bezug auf das Konzept der „Atmosphärischen Führung“ vorgestellt. Dieses wird als Schlüssel gesehen um Arbeitsplatzzufriedenheit zu erhöhen. Es geht darum positive Selbstwahrnehmung und Wertschätzung zu stärken, um dem „Jammertal und der Kitakrise“ mit professionellem Selbstverständnis zu entgegnen.

Als Kriterien für erfolgreiche Personalbindung und Arbeitsplatzzufriedenheit werden u.a. eine gute Kommunikation und Koordination zwischen Träger und pädagogischer Gesamtleitung und den Kitastandorten in einer Verantwortungsgemeinschaft genannt, die für schnelle Entscheidungswege, einen kontinuierlichen, offenen Dialog auf Augenhöhe stehen. Konzepte zur Netzwerkarbeit und die Einführung von Konsultationskitas sind ebenfalls Kriterien, die durch weitere Unterstützungsangebote der pädagogischen Gesamtleitung (z.B. bei Elterngesprächen, Team-Prozessbegleitungen, Konzeptionsentwicklung, Aufbau allgemeiner Konfliktlösungsstrategien, Mediationen) zur Entlastung im Kitasystem und damit zu höherer Arbeitszufriedenheit beitragen.  Aktuell wurden weitere wertschätzende Projekte zum Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden eingeführt, wie z.B. Gesundheitskurse, Evaluationen zu Arbeitsplatzsicherheit und –schutzmaßnahmen, E-Bike-Förderung, bewegte Pausen und „Kita-Stammtische“.

In der Diskussion mit den Teilnehmenden des Workshops stand die Perspektive von Führungskräften als Dreh- und Angelpunkt der Personalbindung im Mittelpunkt. Festgestellt wurde, dass Führungskräfte Raum benötigen zunächst für das Erlernen von Führungskompetenzen und später für die Erfüllung der gestiegenen Ansprüche an atmosphärischer bindungsorientierter Leitung. Eine wichtige Frage sei, wie der vielerorts wahrgenommenen abnehmende Motivation von Fachkräften, in Führungsverantwortung zu gehen, jenseits finanzieller Anreize begegnet werden könne.

Eindrücke aus der WiFF-Fachforum

Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin, WiFF © Andreas Schwarz
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